Vor ausverkauftem Haus haben Polaris im Wiesbadener Schlachthof nicht nur den Auftakt ihrer einmonatigen Europatour mit Silent Planet, Thornhill und Paledusk gefeiert, sondern auch ihr bis dato größtes eigenes Konzert in Europa gespielt.
Zuletzt zu Gast im Schlachthof waren die Australier im September 2022. Der war aufgrund der damals noch wütenden Pandemie nur halb gefüllt. Auch dass bereits zweieinhalb Jahre vergangen waren, bevor die Metalcore-Band ihr zweites Album The Death Of Me auf dem europäischen Festland live vorstellen konnte, hat damals vermutlich zu den luftigen Reihen geführt. Die gibt es heute nicht, stattdessen platzt die Veranstaltungsstätte in der hessischen Landeshauptstadt aus allen Nähten. Das verdeutlicht nicht nur das Wachstum, das Polaris mit ihrem dritten Album Fatalism erlebt haben, sondern ist auch auf das insgesamt sehr starke Line-up dieser Tour zurückzuführen. Den Auftakt machen Paledusk aus Japan, die mit einem Cover von Eminems Lose Yourself eröffnen, ehe sie ausschließlich ab 2020 veröffentlichte Songs spielen. Dazu zählen Happy Talk und Q2 von der 2020 erschienenen EP Happy Talk, die Standalone-Singles Area PD, Black Ice und Slay!! sowie Rumble und der Titeltrack von der Ende Februar erschienenen EP Palehell.
Taufrische Musik haben auch die ebenfalls aus Australien stammenden Thornhill dabei, die erst einen Tag zuvor ihren neuen Song Obsession veröffentlicht haben. Auf dem zeigt sich das Quartett gewohnt groovig. Der zunächst etwas matschige Sound bessert sich glücklicherweise pünktlich zur Live-Premiere des neuen Stücks. Von Anfang an stimmt dagegen die stets stimmungsvolle Beleuchtung, die zwischen verschiedenen Farben changiert, sowie der Einsatz von Sänger Jacob Charlton. Der Frontmann nutzt nicht nur die Breite der Bühne vollkommen aus, sondern überzeugt auch stimmlich auf ganzer Linie. Zum einen verkörpert er die Theatralik der Musik seiner Band durch seinen starken und immer wieder recht hohen Klargesang, zum anderen bringt er durch seinen gelegentlich eingestreuten gutturalen Gesang die im Alternative Metal von Thornhill verankerte Härte zum Ausdruck. Das quittiert das Publikum mit ersten größeren Moshpits, etwa am brutalen Ende von Casanova.
Während bei Thornhill die Bühne stets farbenfroh erleuchtet ist, verzichten Silent Planet nahezu vollständig auf jegliche Beleuchtung. Nur von vorne wird die US-Metalcore-Band spärlich von einigen Lampen erhellt. Dafür werden im Hintergrund per Beamer Visuals auf eine riesige Leinwand gestrahlt. Das Quartett stellt sich somit komplett in den Dienst seiner Kunst. Die fällt auf den jüngeren Alben deutlich weniger predigend als auf den früheren Platten aus. Von denen sind immerhin The Night God Slept und Everything Was Sound mit jeweils einem Song vertreten, während Silent Planet ihr drittes Album When The End Began außen vorlassen. Vom vierten Album Iridescent gibt es Panopticon und Trilogy auf die Ohren, während das im November veröffentlichte fünfte Album Superbloom mit sieben Songs den Großteil der Setlist ausmacht. Die präsentieren Silent Planet in einem wuchtigen Sound-Gewand. Da ist es wenig überraschend, dass während des 45-minütigen Auftritts auch die ein oder andere Wall of Death vom Publikum formiert wird. Das freut auch den wie immer barfuß auftretenden Sänger Garrett Russell, dem insbesondere die vorderen Reihen immer wieder zujubeln. An die rund 2.400 Konzertbesucher*innen wendet sich Russell vor allem vor den finalen beiden Songs. Während er vor dem sich mit der Geschichte der amerikanischen Ureinwohner auseinandersetzenden Native Blood den politischen Umgang mit diesen kritisiert, ermutigt er vor dem finalen Trilogy alle, die an psychischen Problemen leiden, dazu, mit ihren Freund*innen offen darüber zu sprechen sowie sich professionelle Hilfe zu suchen.
Die Leinwand, die zuvor noch den Hintergrund der Bühne geschmückt hat, tauschen Polaris gegen ein simples Banner ein. Das ist ganz im Zeichen des aktuellen Albums Fatalism gehalten, das zunächst auch im Fokus der Setlist steht. Nachdem die neunminütige Green-Day-Oper Jesus Of Suburbia fast komplett durch die Boxen geschallt ist, betritt zum atmosphärischen Intro des Album- sowie Konzertopeners Harbinger zunächst nur Frontmann Jamie Hails die Bühne. Kurze Zeit später folgen schließlich die weiteren Bandmitglieder, ehe Polaris bei dem Song wie auf Platte herausragend Schicht auf Schicht legen, ehe dieser am Ende erstmals metallisch ausbricht. Beim folgenden Nightmare und dessen Ohrwurmrefrain singt die Menge dagegen zum ersten Mal lautstark mit. Das geschieht heute bei nahezu allen weiteren Refrains, bei denen der vor Energie strotzende Hails vom herausragenden Klargesang von Bassist Jake Steinhauser unterstützt wird und verdeutlicht sehr gut, was für ein enges Band zwischen Band und Publikum gespannt ist. Das untermauern auch die ersten „Polaris!“-Sprechchöre, die im Anschluss an den vierten Song With Regards durch den Schlachthof hallen.
Nachdem einen Song später zu Lucid die Halle im Gleichschritt gesprungen ist und beim schrubbenden All Of This Is Fleeting der erste massive Moshpit geöffnet worden ist, richtet Hails das Wort erstmals länger an das Publikum. Er erklärt den Schlachthof zu einem Safe Space, in dem jede/r er/sie selbst sein soll. Zum folgenden Landmine formiert sich ein riesiger Circlepit, ehe Polaris die schmackhafte Metalcore-Torte nach dem wuchtigen Breakdown noch mit einem leckeren Gitarrensolo schmücken. Danach folgt mit dem rockigen und eingängigen Overflow eines der Highlights des Abends, dessen Mental-Health-Refrain nach der folgenden Rede von Hails noch lange nachwirkt. Er bedankt sich für die Möglichkeit, die Veröffentlichung von Fatalism gemeinsam feiern zu können und für die Unterstützung, die Polaris nach dem plötzlichen und viel zu frühen Tod ihres Gitarristen Ryan Siew im vergangenen Juni durch ihre Fans erfahren haben. Er erklärt, wie sehr Siew ihnen noch immer fehle, wobei er immer wieder schwer schlucken muss. Während das Publikum ihn mehrfach mit eingestreutem Applaus auffängt, ermutigt Hails schließlich alle dazu, verstorbene geliebte Menschen stets in Erinnerung zu halten. Martyr (Waves) widmet er im Anschluss Siew sowie allen Menschen, deren Verlust jemand im Publikum zu betrauern hatte, während die Menge dazu den Schlachthof mit ihren Handylichtern hell erleuchtet. Ein Moment, der allen Konzertbesucher*innen lange in Erinnerung bleiben wird. Noch mehr als der auch live großartige und mitreißende Metalcore der Australier.