Vier Alben in acht Jahren: Akne Kid Joe (AKJ) sind eine produktive Band, wohl auch weil Gitarrist und Sänger Matti laut eigener Aussage nicht länger als eine Stunde für einen Songtext braucht. Warum die Entstehung von 4 von 5 dennoch länger gedauert hat als sonst, erklärt er im Interview.
Die Schlagzahl ist bei AKJ von Anfang an hoch: 2016 gegründet, folgt ein Jahr später mit Haste Nich Gesehn! ihre Debüt-Ep. Die darauf enthaltenen Synthie-Brüll-Punk-Songs gefallen Pascow-Sänger Alex so gut, dass er alle folgenden Alben auf seinem Label Kidnap Music veröffentlicht. Darunter auch die beiden während der Corona-Pandemie erschienenen Alben Die große Palmöllüge (2020) und Die Jungs von AKJ (2021), mit der sich die Band eine größere Zuschauer*innenzahl erschließt – letzteres bezeichnet Matti in der Rückschau als „zu krampfhaft“: „Es gab die Welle, dass alle mit 90 anstatt wie vorher mit 60 Prozent von der Initiative Musikförderung gefördert. Dann haben wir gesagt: ‚Lass einfach das Album machen.‘ Da haben wir versucht, das sehr schnell zusammenzuschustern. Ich finde, das hört man dem auch an. Ich finde es auch cool, aber ohne die Pandemie hätte es das Album wahrscheinlich nicht gegeben.“ Auch ein Grund, warum sie sich bei 4 von 5 mehr Zeit in der Entstehung lassen. Anfang 2023 ist es so weit: Matti hat genügend Songs zusammen, die er gemeinsam mit Keyboarder Peter, Gitarristin und Sängerin Sarah und dem mittlerweile ausgestiegenen Schlagzeuger René aufnimmt. Ab da hätte alles so einfach sein können. Dass es nicht so gekommen ist, liegt auch an Mattis Perfektionismus. „Wir waren kurz vor der Abgabe zum Mastern, das Release-Datum war ausgemacht und die Tour stand auch schon und dann habe ich gesagt: ‚Wow scheiße, ich glaube wir müssen vielleicht nochmal drüber.‘ Das haben die Anderen nach dem ersten Schock auch verstanden.“ Ein halbes Jahr Pause gönnt sich die Band voneinander, bis sie sich im Herbst 2023 wieder trifft, um die Fertigstellung des Albums voranzutreiben. Neue Ideen werden miteingebracht, alte verworfen, die Gitarren neu eingespielt und auch Matti und Gitarristin Sarah müssen nochmal in die Gesangskabine. Eine gute Entscheidung: „Jetzt sind wir echt happy und das Feedback ist auch echt super gut. […] Also es war jetzt kein kompletter Verriss dabei oder sowas, das gab es bisher noch nicht. Von dem her kann ich sagen: Ich bin echt happy bis jetzt.“
Von Boston bis Husum
Zurecht – 4 von 5 ist ein starkes Album, wenn nicht sogar ihr bestes, was auch an der Arbeit liegt, die in die Gitarrenarbeit geflossen ist und entscheidend dazu beiträgt, dass AKJ ihren Sound langsam Richtung Indierock schieben. Von den Pixies, die im Promotext augenzwinkernd als Referenz genannt werden, ist das natürlich meilenweit entfernt, selbst wenn etwa Mindestbellwert als eine AKJ-Interpretation der ikonischen Laut-Leise-Dynamik der US-amerikanischen Indie-Helden gelesen werden kann. Während das Schreiben der Texte leicht von der Hand geht, entpuppt sich das Schreiben der Riffs als zäher Prozess, was auch mit dem in den letzten acht Jahren gestiegenen musikalischen Anspruch zu tun hat: „Ich habe schon gedacht, wenn ich jetzt einfach wieder die gleichen drei, vier Akkorde hintereinander spiele, dann braucht man es auch nicht machen, dann kann ich auch einfach einen Gedichtband schreiben.“ Hilfestellung bietet Produzent Florian Helleken, der auch mal selbst die Gitarre in die Hand nimmt und von dem etwa das hervorragende Solo in Goldstandard stammt. Andere geografische und musikalischen Referenzen schafft Legende am Glas, dessen Intro an Turbostaats 18:09 Uhr. Mist, verlaufen erinnert. Inhaltlich bespielt Legende am Glas ein im Punk weit verbreitetes Sujet: Das des tragischen Trinklieds. Also Songs, in denen Alkohol glorifiziert wird, gleichzeitig aber die feuchtfröhliche Fassade zu bröckeln beginnt. In Legende am Glas klingt das so: „Alle dort warten schon auf mich (Beeil dich)/ Ich bin eine Legende am Glas/ Morgen erinner ich mich an nichts (Filmriss)/ Aber heute bin ein Rock’n‘Roll Star (Ganz gewiss)/ Morgen erinnern sich alle an mich/ Tonight, i’m a Rock’n‘Roll Star.“ Referenzen sind Knochenfabriks Filmriss oder In der Kneipe zur trockenen Kehle von Schleim-Keim. Intendiert waren diese aber nicht: „Ich glaube, dass ich am Anfang noch gar nicht die Absicht hatte, in so eine tragische Richtung abzubiegen oder in so eine Interpretationsmöglichkeit.“ Dabei ist es diese Doppelbödigkeit, die dem Song seine Tiefe verleiht („Alles andere wäre Ballermann“) und ähnlich wie die musikalische Vielschichtigkeit die Spannung des Albums konstant hochhält.
Sarkasmus als beste Waffe
Eine Konstante in den Texten ist der sarkastische, ironische Ton, der ähnlich wie der Synth-Punk-Sound seit jeher zu den Grundpfeilern des Songwritings zählt. Auf 4 von 5 richtet sich der sarkastische Blick größtenteils weg vom Tagespolitischen hin zum Privaten. Die Grenzen sind dabei fließend, wie 50/50 zeigt: „Ich glaube bei Fifty Fifty ist mir die erste Zeile eingefallen: ‚Rausgehen/Keinen Spaß/ Daheim bleiben/ Was verpasst‘, und dann war irgendwie klar, es geht in die Richtung, alle Aktionen, die du willst sind nicht so geil, und dann habe ich mir schon gedacht, was könnte der nächste Satz sein? ‚Arbeiten/ Miete zahlen/ Sparkasse überfallen‘“. Denn schon Adorno wusste: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Während 50/50 also aus einem spontanen Einfall entsteht, ist bei Vintage Store das Thema von Anfang an gesetzt. „Es ging konkret um so einen Vintage Store, also so einen sehr neumodischen, in dem man wirklich solche alten Band-T-Shirts für 400, 500€ kaufen konnte, und in dem wirklich irgendwelche Hipster-Leute sind, die alten Burzum-Merch kaufen“, so Matti. Burzum ist nicht nur die Band mit „schöner Fraktur für den jungen Mann von der Grafik-Agentur“, sondern auch das Projekt von Varg Vikernes, Rechtsextremist und Mörder des Mayhem-Gitarristen Euronymous.
Eine andere popkulturelle Referenz macht das Highlight des Albums auf: Wer hat die Nummer von Bobby McFerrin? Der Mental-Health-Song. Der Reggae-Song. Der sich, der Titel legt es nahe, auf Bobby Mc-Ferrins Gute-Laune-Hit Don’t Worry, Be Happy und die Zeile „Here I’ll give you my phone number/ When you’re worried/ Call me I’ll make you happy“ bezieht. Die Idee kommt Matti beim Radio-Hören und auch diesen Text scheibt er in gut einer Stunde fertig. „Aber ich hätte es nicht cool gefunden, wenn wir auf die gleiche Art und Weise auf dieses Thema aufmerksam machen, wie es auf Social Media zum Beispiel getan wird“, erklärt er. Und konkretisiert: „Also Seiten, die eigentlich versuchen besser auf dieses Thema aufmerksam zu machen, aber im Endeffekt vielleicht fast Teil des Problems sind. Mir ging es darum, da einen Weg zu finden, der weggeht vom Achtsamkeitsgefasel auf Instagram. Was sich ja eigentlich ausschließt. Also das Medium und die Message.“ Der Text funktioniert, weil Matti genau das gelingt: das Treffen des richtigen Tons zwischen Humor und Ernsthaftigkeit, der richtigen Portion Verachtung für diejenigen, die glauben eine Grapefruit am Morgen helfe gegen Depressionen und der echten Verzweiflung, keine Hilfe zu finden, wenn man sie am meisten braucht. Bei ihm klingt das so: „Kein Hilfe für dich, kein Problem/ Wenns dir schlecht geht, musst du Bobbys Nummer wählen/ Greif am besten noch heute zu deinem Telefon/ Aber wer bitte hat Bobbys Nummer schon?“
Die Punk-Szene als Hoffnung auf Utopie?
Von Wer hat die Nummer von Bobby Mc Ferrin bis Sarah (Frau auch in einer Band) – sind AKJ eine Band, die mit ihren Songtexten Diskurse in den Punk-Kosmos trägt, Identifkationspotential für FLINTA* bietet und die Szene dadurch verändert, wie es Philipp Meinert, Autor von Homopunk History, in der kürzlich erschienen vierteiligen ARD-Doku MIllenial-Punk sagt? Matti selbst ist überrascht darüber, was für eine große Rolle sie innerhalb der Doku einnehmen und fühlt sich mit der Rolle des Punk-Erneuerers nur bedingt wohl: „Wir haben natürlich nicht den Feminismus in den Punk gebracht. Sarah hat nicht den Feminismus in den Punk gebracht. Es ist eine Entwicklung, die ganz viele Leute vor ganz vielen Jahren vor unserer Zeit gemacht haben. Der Sarah-Song war ein Song, der viel Gehör fand. Ich würde nicht sagen, dass damit eine Debatte ausgelöst worden ist oder damit ein Stein ins Rollen gekommen ist.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Da gab und gibt es auch Bands, die viel radikaler sind, was das Thema betrifft. Deutsche Laichen zum Beispiel haben einfach ein ganzes Album darüber geschrieben und die sind in einer Szene auch viel impulsgebender als eine Band, in der letztendlich auch doch drei Typen mitspielen.“ Nichtsdestotrotz haben AKJ mit dem Song einen Beitrag zu einer essenziellen Debatte geleistet, die um die Repräsentation von gesellschaftlich marginalisierten Gruppen in der Punkszene, einer Szene, die es anders, besser machen will und sich als Teil der Gesellschaft trotzdem nicht frei machen kann von sexistischen, rassistischen und anderen ausgrenzenden Strukturen. Auf seine Definition von Punk angesprochen, sagt Matti, dass es sich für ihn bei Punk mehr um eine Geisteshaltung als um ein Genre handelt: „Ich würde zum Beispiel so weit gehen, dass es viele gibt, ob es jetzt Bands oder Leute sind, die felsenfest von sich behaupten würden, sie wären Punk, weil sie das vor 40 Jahren mal waren, denen würde ich heute fast das Mindset für einen Punk absprechen. Ich meine, diese Doku ist ein gutes Beispiel. Die Doku wird genau von den Leuten, die ich meine, gerade diskutiert, also wenn du da in irgendwelchen Facebook-Kommentar-Spalten landest, wo es dann heißt: Was hat denn das mit Punk zu tun? Früher war alles besser oder cooler. Das ist für mich kein Punk.“ Auch was die musikalische Verortung seiner eigenen Band angeht, ist er sich unsicher. „Ich würde auch sagen, dass ich uns selber als Band nicht im klassischen Sinne im Punk verorten würde. Der geschriene Gesang und diese schrammelige Attitude, das ist natürlich schon Deutschpunk im weitesten Sinne, aber wir haben weder versucht klassischem Ramones- oder Sex-Pistols-Punk hinterherzurennen, noch haben wir versucht alles nachzumachen, was Jens Rachut jemals gemacht hat, sondern es ist irgendwas dazwischen geworden.“
Ein weiteres Positiv-Beispiel für aktuelle Szenebands sind Pogendroblem aus Köln, die, hier schließt sich der Kreis, 2020 die Mini-Doku Auf der Suche nach der Utopie veröffentlicht haben, in der auch AKJ nach ihrem Utopie-Verständnis gefragt werden. Auf seinen heutigen Glauben an eine bessere Welt angesprochen, zeigt sich Matti desillusioniert. Besonders, wenn es um das große Ganze geht: „Allgemein hat schon eine politische Resignation eingesetzt bei mir.“ Hoffnung findet er eher im Kleinen, in der Kraft der Subkultur. „Das sind auch genau die Akzente, in denen ich auch feststelle, da lohnt sich das Invest meiner Energie. Also wenn ich sage: Wir machen Musik und da denken ein paar Leute drüber nach. Sarah sagt zum Beispiel immer wieder, dass wir keine Show spielen, ohne, dass danach eine nicht-männliche Person zu Sarah kommt, die auch noch recht jung ist, und sagt: ‚Voll cool. Ich habe übrigens auch angefangen Gitarre zu spielen.‘ Vielleicht schaffen wir es schon eine gewisse Haltung zu verkörpern und wenn wir es damit schaffen, dass wir manche Leute inspirieren, dann ist das für mich total cool. Dann fühle ich mich auch nicht so nutzlos, mit dem, was ich mache. Aber wenn ich mich in die Fußgängerzone stellen würde, um Flyer für die Grüne oder die Linke zu verteilen, dann würde ich mich nutzlos fühlen, denn das wäre für mich wirklich ein Kampf gegen Windmühlen.“