Interview mit Hacktivist

Seitdem vor wenigen Wochen das neue Album der Newcomer Hacktivist das Licht der Welt erblickte, haben die Jungs aus Milton Keynes in Europa mächtig Lärm gemacht. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Josh und Timothy hinzusetzen und mit ihnen über Songwriting, das Musik Business und die Bedeutung vom Anderssein zu sprechen.

SL: Lasst uns über die Tour sprechen. Ihr habt angefangen als Support Acts von Bands wie Enter Shikari oder Korn; wie fühlt es sich an, endlich die eigene Headline Tour zu machen?

Josh: Es ist super. Ich war zuerst ein wenig nervös, da wir schon in diesen ganzen Städten gespielt haben, aber vorher noch nie ein komplettes Set zeigen durften. Jetzt ist es so, dass man hoffen muss, dass sich die Leute zu unseren Shows bewegen und ich kann glücklicherweise sagen, dass das der Fall ist!

Tim: Ja, bei manchen Shows hatten wir keine Support Band, wo man sich dann denkt „verdammt, wenn uns keiner hört, kommt vielleicht wirklich niemand“. Wir hatten aber erfreulicherweise wirklich gute Besucherzahlen bisher! Heute spielen ja Trailerparksex mit uns, was einem eine Stütze gibt, da man dann nicht nur auf sich selbst angewiesen ist. Außerdem ist es ein komplett anderes Gefühl, wenn man nur Support ist und denkt, dass man nicht alles zeigen kann. Besonders bei Enter Shikari haben wir ja quasi Europa zusammen erobert, aber selbst auf die Reise zu gehen mit einer längeren Setlist ist eine andere Welt: Man hat mehr Druck, aber so soll es sein.

SL: Wenn ihr über die Anfänge nachdenkt und an vorherige Konstellationen wie zum Beispiel Heart of a Coward bei dir, Tim, was war die Inspiration, eine neue Band zu kreieren?

Tim: Bei Heart of a Coward gab es ein paar Faktoren wie persönliche als auch musikalische Differenzen, die dazu geführt haben, dass ich weniger Metal machen wollte. Besser gesagt, es anders machen. Ein Paar der anderen wollten das eben nicht und so löste es sich auf. Ich habe für eine bestimmte Zeit gar keine Musik geschrieben und nur für andere in meinem Studio aufgenommen. Irgendwann habe ich dann jedoch wieder angefangen und den Song „Hacktivist“ geschrieben. Zur selben Zeit hat Jermaine, den ich über Ben kennen gelernt hatte, ein paar Grime Lieder in meinem Studio aufgenommen und fragte mich eines Tages, ob und was ich eigentlich gerade so tun würde. Ich dachte mir, „naja dann lade ich das Lied mal auf Soundcloud hoch, mal schauen“. Lied hochgeladen, pure Begeisterung. Er wollte direkt ein Teil von etwas sein, was noch gar nicht existierte, denn Hacktivist war damals nur mein Alias und keine Band. Es war vollkommen verrückt, dass das so schnell ging: Ben kam auch in die Gruppe, damit er sich um ein paar Scream Parts kümmern konnte, die Songs kamen auf Youtube und nach wenigen Tagen erhielten wir die ersten positiven Reaktionen. Kurz: Wir haben uns nicht vorgenommen, verschiedene Musikstile zu vereinen, es war eher so ein „die-Sterne-stehen-in-der-richtigen-Konstellation“ Prozess und alles kam so, wie es sollte.

SL: Für mich klingt eure Musik ziemlich eng verwoben. Es ist klasse, mit euch beiden sprechen zu können, da ihr ja rhythmisch komplexe Strukturen spielt und wahrscheinlich auch zusammen absprecht. Wie kommt ihr auf eure Rhythmen, da sie teilweise so zerpflückt und verwirrend wirken? Schneidet ihr gewisse Teile raus und fügt sie woanders ein?

Tim: Ja, ich bin ein Fan von Wiederholungen und Rückwärts Effekten an gewissen Punkten. Ich schreibe meine aber Lieder nicht in Jam Sessions, ich nehme die Ideen direkt auf. Manchmal gefallen mir die Ideen und ich schraube nicht mehr daran; manchmal schneide ich einen Teil von einem anderen Riff ab und füge es einfach in die Mitte des ersten ein – und dann lerne ich das (lacht). Manche Leute benutzen Guitar Pro und schreiben das alles in Tabulaturen auf, das ist gar nicht mein Ding, da ich darin keine Inspiration finden kann. Ich meine es klingt grottig! Ich mache das lieber nicht, sondern nehme teilweise auch Ideen aus anderen Songs von mir, spiele Patterns rückwärts oder drehe sie einmal um. Zugegebenermaßen sind manche Gitarrenspuren von uns sehr zufällig – ich kann mir nie vorstellen, wie ein Riff am Ende klingen wird, und das lässt das ganze immer wieder neue Frische bekommen.

Josh: Meistens benutzen wir aber ganz einfache 4/4 Takte und beruhen auf rhythmischen Verschiebungen. So kann es sein, dass wir teilweise 10 Variationen von einem Riff spielen.

Tim: Ja, aber ich glaube, dass 9/10 Leuten die Variationen live gar nicht mitbekommen. Zum Glück bemerke ich sie! (lacht) Ich hasse es einfach, wenn ein Riff über acht Takte immer wieder wiederholt wird, ohne irgendwelche Veränderungen.

Josh: Wenn man das ganze mal so pauschal betrachtet, kann man behaupten, wir hätten einen sehr elektronischen oder digitalen Ansatz. Es sind meistens nie fünf Leute in einem Bandraum, die beliebig irgendetwas spielen und sich einigen müssen.

Tim: Besonders das Riff bei „Elevate“ war damals etwas komplett anderes als das, was ich oder gar jemand anderes kannte. Die Struktur davon hätte wesentlich simpler sein können, aber durch meine Schnitttechniken habe ich das Glück, immer neue Methoden zu entdecken, um diese Patterns innovativer zu machen.

SL: Also überlegst du dir die Hauptideen für alle Lieder?

Tim: Ja, ich backe den Kuchen und die anderen glasieren das dann mit schwer zu kauenden Eiern aus Stahl. (lacht) Ich bin dennoch fest überzeugt davon, dass wir niemals unseren Sound bekämen, wenn wir nicht diese Annäherungsweise an Songwriting hätten. Wir haben auch selbst unglaubliche hohe Erwartungen an die zukünftigen Lieder und wie wir damit experimentieren, da wir ja auch auf „Outside the Box“ ambient-ähnliche Keyboard Klänge eingestreut haben.

SL: Genau darüber möchte ich mit euch sprechen. Euer Album ist das erste Gesamtwerk von euch in drei Jahren. Warum habt ihr damit so lange gewartet? Was gab es für Gründe?

Tim: Wir haben nicht gewartet, das ist sicher. Wir werden jedes Interview mit dieser Frage konfrontiert und sie ist gut. Eigentlich lässt sich dazu nur sagen: „Music gets in the way of life and life gets in the way of music“. Es gab schon harte und gute Zeiten. Einer der größten Beiträge zu dem zeitlichen Problem war es damals, als wir die EP rausgebracht haben – wir wurden direkt zur Tour geordert. Manche Bands kriegen wenigstens ein paar Jahre, um ihre Live Auftritte von Grund auf aufzubauen und in kleinen Pubs zu testen. Diese Möglichkeit hatten wir nie, es ging direkt los mit 100 Shows im Jahr weltweit. Bei den ganzen Festivals hast du gar keine Zeit, zwischen Zelten, entladen und dem Auftritt neues Material zu schreiben, denn es geht danach direkt wieder in den Flieger. Ich sage dennoch immer wieder: Wenn das Album dann rausgekommen wäre, wann es hätte rauskommen sollen, so wäre es definitiv nicht so gut, wie es nun ist. Wir finden, dass jeder Punkt innerhalb des Albums, wie ein Wasserzeichen dessen ist, was uns in den letzten drei Jahren widerfahren ist. Das Album wäre in jedem Fall nicht rausgekommen, bevor wir nicht 100 Prozent dahinter stehen. Glücklicherweise haben wir auch nach all der Zeit keine Fans verloren! Viele haben sich logischerweise über die Dauer der Produktion beschwert. Als die CD dann letztendlich herauskam haben wir vermehrt gehört, dass es die Wartezeit wert gewesen ist, und ich finde, das ist doch genau, was man möchte.

SL: In meinen Augen stellt ihr eine jüngere, modernere Version von Meshuggah, Deftones als auch Korn dar. Was waren eure Haupteinflüsse für das Album?

Josh: Ja, rein von der Instrumentalperspektive sind wir alle in den Zeiten des NuMetal, wie ihn beispielsweise Linkin Park oder Korn gemacht haben, aufgewachsen. Du weißt, wie das ist, man hört es immer noch. Dennoch sind wir alle von verschiedenen Künstlern beeinflusst. Wir hören alle Hip-Hop, Drum ’n‘ Bass, elektronische Musik als auch Grime bis hin zu Jazz und Punk.

Tim: Ich finde das cool, denn so lernen wir alle etwas voneinander. Rich ist zum Beispiel ein Jazz Drummer und bringt Sachen zu Tisch, die der Alltags Metal Drummer möglicherweise nicht in seinem Vokabular hat.

Josh: Das ist interessant, da wir da erst letztens mit ihm drüber gesprochen haben. Denn wenn er etwas schreibt sind viele seiner Übergänge und Rhythmen meist verwurzelt im Latin und Salsa. Das macht wirklich Spaß, mit ihm zu spielen.

Tim: Wir bringen alle musikalisch etwas anderes hervor und genau das wollen wir: Outside The Box denken. Unverschämte Werbung, ich weiß. Aber deswegen haben wir es ja auch so genannt. Mehr Leute sollten experimentieren und etwas Neues kreieren, was die Welt nicht gehört hat und was erfrischend wirkt.

SL: Ich denke mal, ihr habt noch viele Shows vor euch dieses Jahr. Was sind so eure Ziele?

Tim: Ich möchte spielen und unbedingt neues Publikum anwerben. Es ist eine Sache, für alte Fans zu spielen. Wir sind aber ja quasi wie Marketing Typen, die versuchen, von Tür zu Tür in jeder Stadt ihr Produkt zu verkaufen. Und das Gefühl ist umso schöner, wenn auch fremde Leute davon begeistert sind.

SL: Was können neue Fans von einem Hacktivist Lied erwarten?

Tim: Das Unerwartete.

Josh: Ja, Fans der ersten EP werden brutale Teile wiederfinden und neue Fans sollten sich das gesamte Album anhören, da wir nichts an Vielfalt verloren haben, denken wir.

Tim: Wir haben einfach auf dem Fundament aufgebaut und neue Dinge ausgetestet.

Josh: Dieses Mal gibt es vor allem nicht nur einen Song, den jeder gut findet. Viele Leute kamen schon auf uns zu und haben gesagt: „Mir gefällt Lied XY am besten…oh der andere ja auch. Mist.“

Tim: Die Lieder sind alle ziemlich hart auf ihre eigene Art und Weise. Die Messlatte für nächste Album hängt jetzt schon ziemlich hoch…

SL: Danke an euch Jungs!

AUFGEPASST! Hacktivist supporten am Ostersonntag Enter Shikari und Modestep bei der ausverkauften Show im E-Werk in Köln. Wer schon Tickets hat, kann sich also auf etwas gefasst machen!