CD Review: letlive. – If I’m the Devil

Was passiert, wenn man glaubt, es gäbe nichts Neues mehr zu hören? letlive. passiert und verändert soeben mal die Spielregeln des zunehmend in die Politur geratenen Punkgeists.

Gegründet im Jahre 2002 wäre es nun wirklich falsch, das Quartett als Newcomer zu bezeichnen. Dennoch ist es schwer in Worte zu fassen, mit welcher Frische und Fülle an Innovation die Gruppe an ihr Werk geht: Sei es die brutale Hardcore Attacke in Form des Albums „Fake History“, einem bewusst schlampig produzierten „The Blackest Beautiful“ oder gar dem neuesten Schaffen à la Soulpunk – letlive. lassen den Zuhörer mit ihren Stilwechseln definitiv am Rand des Stuhls verweilen.

Eine genauere Erklärung für diese Einstellung liefert direkt der erste Song „I’ve Learned to Love Myself“, der in schmerzhaft schöner Manier sanft gezupfte Gitarren Dreiklänge mit Sänger Jasons fragiler Stimme paart – Gänsehaut garantiert. Gekonnt kontrastierend bietet „Nü Romantics“ mit „Another Offensive Song“ im Laufe des Albums ein Doppelpack an Liedern, das die Fans älterer Musik zufrieden stellen dürfte. Schneller Punk und raue Stimmfarben dominieren hier das Klangbild einer Band, die kein Blatt vor den Mund nimmt: Vor Allem die Kritik an den Gräueltaten der amerikanischen Polizei gegenüber Farbigen in den verganenen Jahren durchzieht das thematisch dunkel angesiedelte Album. Nun könnte man denken, circa 50 Minuten damit zu füllen wäre ein bereits am Ansatz gescheitertes Experiment. Was Butler hingegen abliefert ist ein pures Zeugnis seines Genies. Sei es der Horror konkret ausgeübter Polizeigewalt bei einer Demonstration Farbiger wie im vorab veröffentlichten „Good Mourning America“, der Zweifel am Sinn des Lebens inmitten polizeilicher Diskriminierung in „Reluctantly Dead“ oder auch dem hymnischen Trauerlied „If I’m the Devil“ – der Groove und Soul der Musik trägt zum Gesamtbild mit Ecken und Kanten bei, welches den Geist der Band besser nicht festhalten könnte.

Die Vermittlung der Texte erfolgt hierbei so ehrlich und herzdurchtrieben, wie es heutzutage noch wenige gar zu probieren versuchen. Statt hoch stilisiertem Gefühlschaos evoziert jedes Wort eine direkte Vorstellung eines Menschen, der in voller Inbrunst über das Unheil einer verlorenen Gesellschaft klagt, ohne zu prätentiös zu wirken. Doch was macht ausgerechnet diesen Mann glaubwürdig? Jahrelanges Leben im Ghetto als auch erschreckend durchsichtige Schilderungen seiner Erlebnisse als Farbiger in der Vorstadt LAs wären da bereits zwei Punkte. „Es gibt nun wirklich nichts Romantisches daran, seinen Kopf bei einem Drive-By-Shooting einziehen zu müssen“, so Butler.

Produktionstechnisch ist die CD im Gegensatz zum Vorgänger um einiges besser geworden, was nicht zuletzt an der Klarheit der Instrumente liegt. Der massiv eingesetzte Autotune des letzten Albums weicht nun wieder der von Kratzen durchzogenen Stimme Butlers, was der Musik wieder zum ursprünglichen Punk Antiglanz verhilft. Das abschließende „Copper Colored Quiet“ bildet mit sich langsam aufbauenden Melodien und finaler Streichereruption einen würdigen Abschluss für ein auf Tuchfühlung gesteuertes Gesamtwerk. Wenngleich weniger Schreie als Stilmittel genutzt wurden und so mancher mit einem Verlust des alten Sounds argumentieren wird, so bleibt für mich beim Hören kein bitterer Beigeschmack. Im Gegenteil – letlive. sind zurück und echter als je zuvor. Mit Orchester Arrangements und Tribal Gesängen als neue Zusatzkomponente wird der jazzlastige Sound der Band um eine epische Facette erweitert, die eure Nackenhaare garantiert mehrfach zum Stehen bringen wird.

Ehe ich nun einen halben Roman schreibe muss ich mich wohl kurzfassen. Schade, denn zu letlive. kann man gar nicht genug sagen. Hier also alles, was ihr wissen müsst:
Wir sind angekommen. Angekommen in der Zeit, in der Wucht nicht nur durch Brutalität definiert werden sollte. letlive. beweisen mit ihrer neuesten CD, dass Kritik am Status Quo niemals, aber auch niemals von der Öffentlichkeit verschwinden darf und dass die Realität meist härter ist als ein kalkulierter Breakdown. Grandiose lyrische Leistung trifft auf Soul und Groove, echte Probleme werden zu echter Musik übersetzt ohne Schabernack. Wenn man das Ganze so wie sie dann noch so herzzerreißend und realistisch darstellt bleibt mir nichts anderes übrig, als den Hut zu ziehen. Diese CD ist ein Muss für die Denker und Veränderer unter euch!

letlive. sind Support für Pierce The Veil auf ihrer kommenden Tour! Für Karten bitte hier entlang.