In einer Fußgängerzone, inmitten des wohl behüteten bayrischen Städtchens Aschaffenburg, fand sich vergangenen Sonntag ein Strom merkwürdiger Gestalten. Folgte man diesem Strom unauffällig, gelangte man zu den Pforten des Colos-Saals, wo an diesem Abend das Hardcore Summer Fest tagte. Ein hochkarätiges Line-Up aus Stick To Your Guns, Deez Nuts, Being As An Ocean und Wolf Down versprach eine grandiose Show. Doch es gab auch noch ein anderes Highlight, wie ihr in diesem Review erfahren könnt.
Eingeläutet wurde der Abend von Wolf Down, dem deutschen Act des Tour Billings. Wütend stampfte der erste Song daher und trieb die Temperatur im eh schon feucht-heißen Club ein ganzes Stück nach oben. Während die Menge am Eingang noch ankommen musste, brach vorne schon der erste Moshpit aus und wurde stetig von der Bühne aus angefeuert. Die Band bot einen altbekannten Hardcore-Sound mit allem was dazu gehört: treibende Two Step-Parts und wuchtige Breakdowns, gespickt mit einer ordentlichen Portion politischer Motivation, machten das Set der fünf Ruhrpott-Jungs aus. Man konnte schon einen Krampf im Mittelfinger bekommen, da immer wieder gegen AfD/Nazis, Religion und die Ausbeutung der Welt Stellung bezogen wurde. Dementsprechend rissen Wolf Down das Publikum mit ihrem Schulbuch-Hardcore im allerbesten Sinne mit. Erster Höhepunkt war eine kleine Einlage von Stick To Your Guns-Sänger Jesse, der einen kleinen Aufschrei in der Menge bewirkte, als er auf die Bühne stürmte. Auch der letzte Nachzügler unter den Gästen war nun hell wach und bereit für die nächste Band.
Diese sollte Being As An Ocean sein. In kürzester Zeit wurde der Sound auch zu einem wahren Ozean der Klänge. Breite Sphären, emotionale Clean Vocals von Gitarrist Michael gepaart mit extrem energiegeladenem Shouting des Sängers Joel ließen die Atmosphäre im Club eine ganz andere werden. Die Wut von Wolf Down wurde mit Melancholie und Feinfühligkeit kontrastiert, was eine perfekte Ergänzung in der ersten Hälfte des Abends ergab. Urbane Hip Hop-Interludes, lyrische Ansagen gefolgt von progressiven Rhythmen zogen das Publikum in die Musik. Alles verstärkt durch ein Farbmeer der Lichttechnik. Beste Gelegenheit für Stage Dives, was man der Crowd nicht zweimal sagen musste. Großartig auch die Interaktion zwischen Band und Publikum, da Sänger Joel einfach mal während Songs komplett in der Menge verschwand. Das Set des Gesamtkunstwerks Being As An Ocean endete überraschend ruhig und hinterließ eine entspannte, aber hochmotivierte Crowd.
Nach einer kurzen Shopping-Tour am gut gefüllten Merch-Stand brach die zweite Hälfte mit nicht weniger imposanten Bands an.
Mit Deez Nuts aus ,,down under“ betrat eine Gruppe die Bühne, die durch ständiges Touren den meisten Szenekennern ein Begriff sein dürfte. Nicht zuletzt auch, weil diese Herren mit einer derartigen Coolness auf die Bühne kamen, dass sogar Ice Cube ins Frösteln kommen könnte. Man hätte durch das standesgemäße Hip Hop-Intro und entsprechendem Gehabe von Frontmann JJ schon ins Grübeln kommen können, ob hier überhaupt gleich Hardcore ertönt. Diese Frage wurde aber umgehend mit einem massiven Brett an Sound beantwortet. Es war definitiv hörbar, wie viele Shows diese Typen schon auf dem Buckel haben. Super präziser Rap über extrem solide Grooves gaben allen Anlass zum bouncen. So war der Saal bei Klassikern wie ,,I Hustle Everday“ schon von Anfang an zu hundert Prozent mit voller Stimme dabei. Jeder Song wurde, ohne mit der Wimper zu zucken, auf’s allerfeinste durchgezogen. Kritische Beobachter würden jetzt behaupten, dass gerade diese Abgebrühtheit dem Publikum zunehmend einen Dämpfer verpasst hat, da der Laden zumindest bis zum letzten Song ,,Band of Brothers“ nicht gerade am überkochen war. Andererseits war es gerade diese Ausstrahlung, die den Reiz der Show von Deez Nuts ausmachte.
Eine letzte Umbaupause noch und dann war es endlich soweit: der riesige Banner von Stick To Your Guns kündigte den Hauptact des Abends gebührend an. Da war er wieder, dieser Aufschrei, wie der, als Jesse die Bühne während der Performance von Wolf Down betreten hatte. Und er kam voll und ganz zu Recht: die Kalifornier boten Melodic Hardcore der Oberliga! Man wurde wahrlich weg geblasen, so mächtig schob der Headliner von der Bühne runter. Die Crowd war am ausrasten, sang lautstark sämtliche cleanen Gesangsparts mit und überbot sich mit Stage Dives und Tanzeinlagen. Dies erregte sichtlich die Gemüter der Bandmitglieder, die voller Energie den Club fast zum Einsturz brachten. Doch die Begeisterung der Band wurde von Sänger Jesse auch direkt ans Publikum kommuniziert. Er beschrieb die extreme Dankbarkeit, die er und seine Kollegen für das Leben, das sie als Band führen dürfen, haben. Eine so authentische und sympathische Art brachte das Publikum natürlich noch viel mehr zum ausrasten, was vor allem bei Songs wie ,,We Still Believe“ unüberseh- und -hörbar wurde.
Viel wichtiger als seine Dankbarkeit schien Jesse jedoch die derzeitige politische Lage zu sein: in einer fast schon rührenden Rede forderte er alle Anwesenden zu Empathie und Hilfsbereitschaft für all diejenigen auf, die derzeit zur Flucht gezwungen werden und Schutz in unseren Breitengraden suchen. Dem wurde selbstverständlich mit tosendem Applaus geantwortet. Immer wieder kam die Sprache auf soziale und politische Grundsätze wie Gleichberechtigung aller Geschlechter, Rassen, Hautfarben, Herkünfte und der Wichtigkeit, in einer Gemeinschaft zu teilen. Die Resonanz der Anwesenden war absolut überragend. Möglicherweise durch dieses Gefühl der Gleichheit konnte man auch eine ungewöhnlich hohe Zahl an weiblichen Stage Dives bemerken. Gelassenheit auf allen Ebenen, eben. So gelassen, dass der Frontmann am Ende der Show gar einem Fan das Mikro übergab und diesen den kompletten Anfang von ,,D(I am)ond“ singen ließ. Was für ’ne geile Truppe.
Das Hardcore Summer Fest bot mit einem hervorragend abgestimmten Line-Up ein überragendes Konzerterlebnis für Freunde gepflegter Hardcore Music. Fetter Sound, fette Perfomances und ein ausverkauftes Colos-Saal machten den Abend definitiv zu einem Erfolg auf ganzer Linie. Besonders ins Gewicht fiel jedoch der Appell an unsere Gesellschaft, der sich durch die Show zog. Wolf Down hoben einen zornigen Mittelfinger an alle rechten Hetzer und religiösen Fanatiker, Being As An Ocean sprachen von dunklen Welten, die uns umgeben. Am meisten berührten aber Stick To Your Guns damit, dass sie einem mal wieder ins Bewusstsein gerufen haben, worauf es ankommt: Empathie, Gleichheit, Menschlichkeit.
Die traditionell ohnehin politische Hardcore-Szene wird derzeit so gefordert wie seit langem nicht mehr, eine Stimme gegen rassistischen Hass, blutsaugende Geldgier und alles zerstörenden Egoismus zu sein. Dies war das eigentliche Highlight des Hardcore Summer Fests. Ein wohliges Gefühl einer toleranten und vereinten Gemeinschaft kam auf, welches über die schockierenden Aussagen diverser ,,besorgter Bürger“ und ,,deutscher Alternativen“ hinweg trösten konnte und den Glauben an die Gesellschaft wieder erweckte. We still believe.
Fotos: Joshua Lehmann – Joshots Music Photography