Manche Bands brauchen große Kulissen, viel Konfetti und vor Allem Autotune, um live gut herüberzukommen. Da sind Biffy Clyro zum Glück nicht Teil vom Team – mit einer simplen Rockshow haben die Schotten uns am Dienstag in einer erstaunlich ungefüllten Festhalle mit Wohnzimmeratmosphäre verwöhnen können.
Die ersten Schritte in die gigantische Festhalle veranlassen Grübeln: Ein Vorhang, gespannt bei der Hälfte der Halle, halbiert den Raum auf eine geringe Zahl an Stehplätzen mit ein paar hundert Sitzplätzen – die Seitenränge rundum das Geschehen sind geschlossen. Das hat man sich anders vorgestellt. Biffy Clyro, eine Band, die in England und Schottland schon Festivals wie Reading oder T in the Park geheadlined hat, darf es sich hier gemütlich machen und vor nur ein wenig mehr als 5000 Leuten spielen.
Den Anfang machen Lonely The Brave, die mit einer entspannten Mischung aus Indie und Rockwurzeln eine musikalisch interessante Performance abgeben. Lieder wie der Opener „Black Mire“ vereinen subtile Gitarrenmelodien mit einer wuchtigen Basis an Rhythmusgitarrenspiel. Es ist Musik, die zum Träumen einlädt und einen sanft an der Hand nimmt, um bis spät in die Nacht Walzer zu tanzen. Insbesondere Gitarrist Mark Trotter besticht sowohl optisch wie gesanglich mit einer ergreifenden Darstellung seiner Riffkünste. Ganz anders verhält es sich mit dem Sänger – David Jakes wirkt leider vollends demotiviert und trinkt genüsslich Tee aus einer roten Tasse, während er Ersterem das Reden während des Auftritts überlässt. Mit verschränkten Armen und gefühlt 4 Schritten innerhalb von 35 Minuten fragt man sich wirklich, wer hier der Frontmann ist. Ignoriert man diesen Faktor aber, bleibt ein angenehmes Warm Up im Gedächtnis.
Bühne frei for the one and only Biffy Clyro! In Dunkelheit gebadet leuchten kleine weiße Punkte auf der Bühnenwand, während sich der Auftritt der Schotten durch das Choralstück „I Cannot Dance, Oh Lord“ bedrohlich über die Anlage ankündigt. Simon Neil und seine Kumpanen marschieren ohne spektakuläre Inszenierungen auf die Bühne und werden dabei von einem Lichtgewitter umgeben, als Ersterer die Lead Single „Wolves of Winter“ anstimmt. Eng beieinander stehend legen sie direkt los und wirken wie drei Geschwister (statt nur zwei), die im Wohnzimmer eine exzessive Jamsession veranstalten – grandios! Das Publikum zeigt sich in den ersten Minuten noch schüchtern und hält sich eher ans Mitsingen als wildes Geschubse, was sich aber im Laufe des Abends noch ändern soll – genauer gesagt mit dem zweiten Song. „Living is a Problem…“ weckt auch die letzten Schlafmützen auf und fordert erste Moshpits in den vorderen Reihen, welche zunehmend größer werden.
Pausen sind für Amateure – zumindest könnte man das so denken bei einem Konzert der drei Jungs aus Ayrshire. Es werden zwischen den Songs generell nur wenige Worte verloren und doch wirken alle immer absolut sympathisch und verliebt in den Traum, den sie nun seit mehr als 17 Jahren leben. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass man Simons Danksagung an das tolle Publikum nur ernst nehmen kann. Die Setlist wimmelt nur so vor Hits: Sei es das poppige „Bubbles“ mit angekurbeltem Endteil, eine harte Ausgabe von „That Golden Rule“ oder auch der Live Rarität „Wave Upon Wave Upon Wave Upon Wave“ – die Menge wird nur so von guter Musik zugedröhnt. An dieser Stelle sei auch die simple, aber effektive Lichtshow zu erwähnen, die gekonnte Akzente in die teils verzwickte Musik der Schotten bringt.
Doch der tatsächliche Fokus liegt im Großen und Ganzen auf dem neuen Album „Ellipsis“. Mit 10 Songs nimmt das neue Material einen beträchtlichen Teil der zwei Stunden ein und beweist Höhen und Tiefen des Albums. „In The Name of The Wee Man“ (Was ist das nur für ein genialer Songtitel!!!!111Eins!!) und das treibende „On a Bang“ wirken wie auf die wilde Meute in den Moshpits zugeschnitten. Die Zusatzmusiker Gambler und Mike Vennart legen sich ins Zeug, das Rockgeflecht mit zusätzlichen Verzierungen und Flächen zu vervollständigen und agieren im Schatten hinter den drei Gründungsmitgliedern. Es fließt Schweiß, der Saal tobt und jede Sekunde wird genossen. Auch die ruhigeren Momente wie bei „Medicine“ oder „Friends and Enemies“ animieren zum Mitsingen und bieten benötigte Verschnaufpausen inmitten einer Setlist, die nie aufzuhören scheint – wir beschweren uns nicht! Allein die Songs „Herex“ als auch „Rearrange“ kommen ein wenig zu belanglos daher und können sich nicht neben den anderen Liedern einreihen, welche gewaltig krachen und einfach Spaß machen. Mit „Whorses“ und einer wunderschönen Version der Akustik Ballade „Machines“ verabschiedet sich Simon Neil von der Bühne, ehe ein außergewöhnliches Trio aus „The Captain“, „People“ und „Stingin‘ Belle“ noch einmal ordentlich Wind in die Segel machen.
Am Ende des Abends gehe ich mit dem Gefühl nach Hause, eine wirklich perfekte Rockshow gesehen zu haben, ohne dass es eine „Show“ im eigentlichen Sinne gab. Biffy Clyro bestechen mit der Art und Weise, wie sie abrocken können, ohne sich hinter großen Bühnenproduktionen verstecken zu müssen. Ohne Tshirts oder Autotune, mit Schweiß und Blut statt Backing Tracks. Sie wissen eben, wie man Songs schreibt und live präsentiert. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die letzten Menschen aufhören, nach „diesem Biffy Clyro“ zu fragen und bemerken, welch Vollblutmusiker sich hier tummeln. Es bleibt zu hoffen, dass sie uns noch viele weitere Male mit langen Nächten beglücken können, in denen wir uns nicht scheuen, den bedeutenden Satz zu schreien: MON THE FUCKING BIFF!
Bilder von Valentin Krach