CD Review: Frank Carter and the Rattlesnakes – Modern Ruin

Nach dem äußerst kraftvollen Debütalbum „Blossom“ ist Frank Carter mit seinem jüngsten Projekt wieder zurück und schlägt neue Töne an. „Modern Ruin“ weist den Weg in eine sanftere Richtung und verzichtet größtenteils auf den zuvor gängigen Punk-Ethos.

Wer sich gern zu Wiegenliedern in den Schlaf einlullen lässt, wird an dem Opener Track „Bluebelle“ großen Gefallen finden: Einzig eine Gitarre und Carters sanfte Stimme bilden den Prolog zum sonst eher im Rock anzusiedelnden Album. Auf dem ironischerweise gar nicht ruhigen „Lullaby“ werden die triolischen Grooves ausgepackt und grummelige Gitarren mit der Frage nach dem Verschwinden einer geliebten Person in Verbindung gesetzt. Carters Stimme klingt hier fast zu sauber gegenüber den rotzigen Gitarren und des frechen Texts, was dem ganzen Lied ein wenig Druck nimmt. Man könnte gar meinen, seine Stimme ist radiotauglich, wenn man nicht die Ausschweifungen in den Hardcore-Punk kennen würde (Gallows).

„Snake Eyes“ setzt hier glücklicherweise einen guten Kontrast und erinnert an die wilden Zeiten der Arctic Monkeys zur Zeit der komisch-verflochtenen Platte „Favourite Worst Nightmare“. Vereinzelte Schreie finden sich hier auch im Mix, ehe der Frontmann einen sehr spielerischen Refrain präsentiert und im Mittelteil auf einen äußerst perkussiven Klang zurückgreift, der zugleich Druck hat und gut nach vorne geht. Ein ähnlich großes Potential hat auch „Vampires“: brodelnd kämpfen hier erneut Gitarren gegen Indie-Melodien an und ergeben ein Produkt, was so auf den sommerlichen Festivals beim Großteil des Publikums Anklang finden wird. Die Frage der Innovation verliert hier zwar an Relevanz, was aber beim fröhlichen Mitwippen nicht weiter stört. Leider wiederholt sich dieses eigentlich erfolgsträchtige Prinzip so oft während der Gesamtspielzeit der CD, dass viele Lieder im Schatten des nächsten verblassen.

Die Balladen des Albums wirken zwischen diesen halbspannenden Hymnen leider auch unglücklich platziert. Nimmt man beispielsweise „Acid Veins“, so bekommt man einen ruhigen Song geliefert, der nur so von Repetition strotzt und sich kaum weiterentwickelt, was den Hörspaß deutlich dezimiert. „Thunder“ experimentiert zwar mit interessanteren Akkordfortschreitungen und mehr Dynamik, schwimmt aber dennoch insgesamt gegen den Strom, ohne je am Ziel anzukommen. Hat man das langatmige, von Stereotypen beladene „Real Life“ überstanden („I’m so lost in the feeling / That you will stop believing“), gelangt man zum mit Abstand aufregendsten Lied des Albums. Der Titelsong präsentiert aggressive Screams, treibende Rhythmen und eine spannende musikalische Entwicklung – anders als bei jedem anderen Lied des Werks. Traurig ist das einerseits, da der Fokus des Albums ja besonders auf Gesangsmelodien liegen sollte. Andererseits kommen hier die Punkwurzeln richtig zur Geltung. Die Gitarren sträuben sich, poliert zu werden, Carters Stimme hüpft aufgeregt im Dreieck und vermittelt Stress und Aufruhr. So sollte alles klingen – tut es aber nicht. Mit „Neon Rust“ übertüncht der Brite nochmal alles, was irgendwie aufregend war mit einer melancholischen Note. Der Zuhörer wird grübelnd zurückgelassen inmitten einer fragwürdigen Schwade blasser Gitarren und langwieriger Songstrukturen.

Insgesamt ist „Modern Ruin“ keineswegs ein schlechtes Album, wirkt aber nach mehreren Hördurchgängen wie eine Ansammlung halbgarer Ideen, die man so oft recycelt hat, bis das Mindestmaß an Spieldauer abgedeckt ist. Carter scheint mit seinem neuesten Schaffen in eine Richtung zu gehen, in der er sich noch nicht sicher fühlt. Ob die teils Früchte tragenden Prinzipien weiter erforscht oder verworfen werden, wird man erst in Zukunft sehen.