Die Hallen beben, die Massen grinsen – der Pop Punk lebt. Auf ihrer „Bad Vibrations Tour“ haben A Day To Remember mit starkem Support einen Konzertabend veranstaltet, den man wirklich nicht so schnell zu vergessen vermag.
Die britischen Moose Blood entscheiden sich, anders als ihre Kumpanen, mit dem Publikum auf Tuchfühlung zu gehen. Die Bühne ist ganz im Sinne des neuesten Albums „Blush“ in pinkem Licht gebadet und erweckt bereits vor Spielbeginn einen ersten Eindruck über die Gefühlswelten, die das Quartett präsentieren wird. Der emotionale Auftritt der Newcomer wirkt so, als hätte Sänger Eddy Brewerton vor dem Bühnenaufgang sein Herz herausgerissen, um es anschließend von den skeptischen Augen der Zuschauer sezieren zu lassen: Ohne viele Worte zu wechseln lässt dieser die Lieder für sich sprechen und nimmt das Publikum mit auf eine musikalisch angenehme, emotional aber intensive Reise. Das eröffnende „Honey“ oder auch „Gum“ beispielsweise bieten einen zugleich eingängigen wie auch tief traurigen Refrain, der einen bei genauerem Hinhören schonmal die ein oder andere Träne verdrücken lässt. Gespickt von schüchternen „Thank You“ Ansagen zwischen den Liedern kommt die Gruppe in ihrer halben Stunde in einen Flow, der das Empathievermögen zunehmend fordert und die Zuschauer gelassen auf den restlichen Abend zugehen lässt. Moose Blood lassen den Emorock aufblühen und sollten auch in der nächsten Zeit von allen, die auf große Gefühle und einen dicken Tropfen Melancholie stehen, genauer beobachtet werden!
Wer aber denkt, dass das so bleiben würde, hat wohl nicht mit der „heaviest Pop Punk Band alive“ gerechnet. Jegliche traurige Stimmung verschwindet in dem Moment, in dem Neck Deep mit dem überaus positiven „Gold Steps“ auf die Bühne marschieren; erste Pits werden eröffnet und die Schweißperlen kommen ungebändigt ins Rollen. Die Waliser machen keine Musik für die Ewigkeit, sondern leben voll und ganz im Moment und klingen dabei erschreckend perfekt. Ein ausgewogener Sound kommt den Jungs hierbei zugute, was die einfach gestrickten, aber effektiven Punksongs noch genießbarer macht. Bezüglich mangelnder Innovation machen sie sich nebenbei auch nichts vor: Auf Merchandise mit Prints wie „Fuck Neck Deep Man, they’re shit“ zeigt sich die Mir-vollkommen-egal-was-du-denkst Attitüde recht deutlich und lässt mich nicht nur einmal an blink-182 in ihren jungen Jahren denken (mit denen sie passenderweise auch schon eine Tour und Aufnahmen bestritten haben). Das 45 Minuten lange Set ist geprägt von Spaß, Circle Pits und guter Laune. „Serpents“ und das ehrenvoll Indian Jones gewidmete „Kali Ma“ treiben das Publikum bereits an erste Kräftelimits, ehe der Headliner überhaupt angefangen hat. Das schöne „December“ lädt zum Mitsingen ein und rundet mit dem abschließenden „Can’t Kick Up The Roots“ ein absolut stimmiges Set ab, welches zur feierwütigen Masse und deren Wochenendstimmung nicht besser hätte passen können. Neck Deep sind der Inbegriff der Jugend – kurzweilig, spaßig und optimistisch. Life’s not out to get you!
Vorhang auf für die modernen Pop Punk Könige schlechthin: A Day To Remember sind mit ihrer absurd gut passenden Mischung aus Nasenblutencore und frecher Eingängigkeit ein Phänomen, an dem sich Kritiker schon immer die Haare ausgerissen haben und lange noch tun werden. Doch wer eine Halle mit 9000 Menschen füllen kann, hat solche Seitenhiebe längst weggesteckt. So beginnt die Band unerwartet mit „Mr. Highway’s Thinking About the End“ und ruft wahrlich einen Weckruf aus: Das bedeutet Konfettikanonen, um sich dreschende Muskelprotze und Rockergirls, die recht ungehobelt ihre Moshpit-Jungfräulichkeit verlieren. Die Folgesongs „Paranoia“ und „2nd Sucks“ sind weiterhin so unbeschreiblich wuchtig, dass man hier schon bereits nach einer Ballade fleht. Doch erst zwei Songs und 37 blaue Flecken später ziehen die Herren des Hauses sanftere Saiten auf und beweisen mit „It’s Complicated“, dass gute Melodien eben doch der Schlüssel zum Erfolg sein können. Die Band powert durch ein Set, was instrumental so perfekt klingt, dass man eifersüchtig wird – tight, klanglich differenziert wie auch euphorisch präsentieren die Helden einen Katalog an Songs wie aus dem Bilderbuch. Einzig Frontmann Jeremy kämpft ab und zu mit seinem leicht verzögerten Klargesang, der zwar durchweg sauber ist, meist aber dem beeindruckenden Zusammenspiel des Rests der Band hinterherhinkt. Im Schweißregen der Prügelaffäre namens Moshpit ist dieser kleine Minuspunkt sowieso egal, denn wo andere Bands nach acht Songs bereits einen Großteil aller relevanten Lieder verpulvert haben, kommen A Day To Remember erst richtig in Fahrt. Besonders die neueren Stücke vom kürzlich erschienenen „Bad Vibrations“ begeistern live wie auf CD. Der Titelsong und „Exposed“ prügeln sich hierbei unerbittlich durch die Anlage und lassen die Schleyer Halle dementsprechend in Ekstase verfallen, ehe erneut ein paar entspannendere Lieder folgen und vom Publikum dankbar in die Arme geschlossen werden – die Mischung macht’s eben. Besonders auffallend sind nebenbei auch die Altersunterschiede innerhalb des Publikums. Von jüngst begeisterten Teenies hin zu hartgesonnenen Fans der ersten Stunde findet konstant ein sportlicher Schlagabtausch statt, in dem jeder involviert ist. Da lassen es sich die Eroberer aus Florida auch nicht nehmen, im Zugabenblock mit „If It Means A Lot To You“ den Herzensbrecher Nummer eins zum Besten zu geben und alle Seiten der Massen zufriedenzustellen. Der (verständlicherweise) im Laufe des Abends aus der Puste geratene Jeremy McKinnon klingt hier besonders klar und weist die Kritiker in ihre Schranken, ehe das Quintett mit „All Signs Point To Lauderdale“ und „Downfall Of Us All“ nochmal richtig die Sau rauslässt.
Achja, da wäre noch was: Das Bühnenbild. Man könnte meinen, A Day To Remember hätten gar keine ausgefeilten Produktionen mit Schnickschnack nötig, doch ihre Liveshow beweist, dass alles zusammenpassen kann, wenn nur die Formel stimmt. Mittig neben dem Schlagzeug sind Bildschirme und Videorekorder zu sehen, die sich während des Auftritts bewegen, während sich simpel aber effektiv links und rechts auf der Bühne positionierte LED Boxen aneinanderreihen und den Zuschauer mit auf einen Nostalgietrip der Extraklasse nehmen. Ältere Songs sind mit Bildern der ersten Bandjahre gespickt, neuere teils mit Artwork der entsprechenden CD oder umwerfenden Publikumsaufnahmen, live wie vorher aufgenommen. Andere Gimmicks wie fliegendes Klopapier, aufblasbare Bälle oder T-Shirt Kanonen sind auch ein wichtiger Bestandteil ihrer spaßigen Liveshow, die das Erlebnis einer durchzechten Nacht auf einer Hausparty gleichmachen. In diesen Augenblicken kratzt die Band an der Grenze des Übertriebenen und vereint Fausthiebe mit Singalong, Schweiß mit Optimismus, Brutalität mit Massenkompatibilität.
Was bleibt also hängen? A Day To Remember sind Showmaster. Nach den knapp 75 Minuten beschwert sich wirklich niemand über die Länge der Setlist, deren Intensivität ihresgleichen sucht. Mit nur wenigen Verschnaufpausen lässt die Gruppe das Mosherherz höher schlagen – und nahezu stillstehen vor Überanstrengung. Keine andere verhältnismäßig so junge Band kann weltweit mit dieser Art von Musik so viel Publikum ziehen, ohne nach 14 Jahren auf dem Buckel langweilig zu werden und zu stark in belanglose Popmusik abzudriften. Auf einer Show der US-Amerikaner ist wirklich für jeden was dabei, sei es im Pit oder gediegen am Rand des Publikums. Mit zwei gerade erst durchstartenden Vorbands wird dem ganzen noch ein nettes Sahnehäubchen hinzugefügt. Kritik? A Day To Remember sind am Höhepunkt ihrer Karriere. Eine noch bessere Show von ihnen ist unmöglich. Wir lassen uns aber gerne von etwas Anderem überzeugen!
© Fotos von Joshua Lehmann