Eigentlich ist es ja unfair. Da kann jede Band sich so viel Mühe geben, wie sie möchte, neben The Hirsch Effekt sieht live fast jeder alt aus. Wir haben uns das Spektakel der Hannoveraner vergangenen Mittwoch angeschaut und berichten.
Während sich die Fans in das wunderbare Schon Schön einfinden und äußerst interessiert jeden Teil des auf der Bühne stehenden Equipments inspizieren, fällt einem auf, dass der Schuppen schon bereits für die Vorband sehr voll ist. Mit ein wenig Verspätung beginnen PeroPero ihr kompaktes, eigenartiges Set. Gekleidet in bunten Federn und aufwändigen Kostümen betreten die zwei Musiker die Bühne und bieten eine Show, die zugleich merkwürdig als auch lustig ist. Schlagzeuger Valentin Schuster liefert gekonnt komplexe Grooves ab, die er ohne Wimpernzucken herunterspielt, während Sänger Julian Pajzs analog zu den Patterns Gitarrenriffs schustert, die sich kantig und verspielt wie Yin zu Yang verhalten. Ergänzt wird das Klangbild von einem teils schrill flirrenden, teils flächigen Synthesizer, der manchmal ein wenig ungeschliffen daherkommt. An dieser Stelle hilft ein recherchierender Blick auf die Facebook Bio der Jungs: „Schlagzeug und Gitarre treffen in knalligen, komplexen Rhythmen auf wabernde Analog-Snythesizer, während psycho-aggressive Sprechgesänge von einer Invasion aus den Tiefen des Alls predigen.“ Ja, treffender kann man es wohl kaum formulieren. In der Tat kann man Pajzs Einsatz des Mikrofons irgendwo zwischen Lautmalerei, Geräuschen und seltenem, stoischen Gesang einordnen. In den besten Momenten erinnert das an die Absurdität, die einst System Of A Down Sänger Serj Tankian dazu verhalf, seine Band nach ganz oben zu katapultieren. Ein kleiner Kritikpunkt an der Band ist der Synthesizer, der an manchen Stellen ein wenig zu simpel daherkommt und mit ein wenig mehr Feinarbeit noch besser klingen könnte. Spannend sind PeroPero durch ihr komisches Auftreten im Einklang mit ihrer vertrackten Musik aber allemal!
Nach einer kurzen Umbaupause und einem Introsong, den ein gewisser Fan von vorne bis hinten laut mitgröhlen kann, geht es unverzüglich mit The Hirsch Effekt weiter. Wie in kaltes Wasser geworfen bombardiert die Band das Publikum im Lied „Lifnej“, welches Zugleich auch Opener des neuesten Albums „Eskapist“ ist. Das Wettrennen um den komplexesten Part beginnt, und aus Sicht des Zuschauers wirkt es äußerst amüsant, wie die einzelnen Mitglieder sich dauerhaft gegenseitig technisch überbieten zu versuchen. Was für einen normal sterblichen Menschen unmöglich scheint, ist für den Hirsch so angenehm wie eine lauwarme Dusche am Morgen.
Dass alle drei aber de facto einfach Meister ihrer Instrumente sind, ist nicht abzustreiten: Jede Note sitzt, Sänger Nils Wittrock hampelt wie berserk umher und stößt sich sogar seinen Kopf an, springt von Verstärkern und geht mit dem Publikum auf Tuchfühlung. Bassist Ilja John Lappin übernimmt genau so viel Verantwortung für den Gesang wie Wittrock und kann indes meist sogar als zweiter Hauptsänger betrachtet werden. Auch Drummer Moritz Schmidt singt mit – aber ohne Mikrofon und nur, weil seine unfassbar schweren Parts im wohl noch immer zu leicht sind. Spätestens hier ist klar, dass das Trio in der obersten Liga mitspielt. Das i-Tüpfelchen bildet die durchdachte Lightshow, die vereinzelte Teile der Bühne beleuchtet und passend zu den exzessiven Instrumentalparts agiert. Eine erstklassige Performance auf der Bühne als auch technische Unversehrtheit prägen das Set, welches mit einer guten Portion alter Lieder fortgesetzt wird, ehe neuere Kracher wie „Berceuse“ oder auch „Xenophotopia“ zum besten gegeben werden. Die Jungs scheinen sichtlich Spaß an der Sache zu haben und loben mehrfach das Publikum des Clubs, welches sich im Verlauf des Abends textsicher zeigt. Selbst kleine technische Probleme tun der energiegeladenen Darbietung keinen Abbruch. Nach einer Zugabe von zwei Songs beenden The Hirsch Effekt aufgrund einer im Schon Schön anstehenden Party nach 90 Minuten frühzeitig ihr Konzert.
Während man vereinzelt verwirrte Stimmen hört, die sich über die Kürze des Auftritts beschweren, gehe ich zufrieden nach Hause: Die Band hat durch hochkarätiges Zusammenspiel an diesem Abend ihre Stärke als Artcore Gruppe gezeigt und von all ihren Alben etwas mitgebracht. The Hirsch Effekt stehen Helden wie The Dillinger Escape Plan in absolut nichts nach und verdienen deutlich mehr Aufmerksamkeit als nur die der eingefleischten Fans. Angucken!