Livereview: Deaf Havana + Support, Schlachthof Wiesbaden, 02.12.2017

Einen schönen entspannten Abend haben und sich von Musik berieseln lassen? Das verdiente Feierabendbier zischen und passioniert mitsingen? Gesagt, getan. Wir waren vergangenen Samstag bei Deaf Havana im Wiesbadener Schlachthof und berichten.

Rob LynchIn ruhiger Manier betrat der Singer-Songwriter Rob Lynch die Bühne und offenbarte dem Publikum nur mit einer Akustik-Gitarre bewaffnet seine wehmütigen Lieder. Von Nostalgie über bessere Zeiten bis hin zu verlorenen Beziehungen und Whiskygeschichten mit seinem verstorbenen Vater war auf der Palette alles vertreten. Was hingegen relativ schnell auffiel war, dass durch die überdimensionale Zugänglichkeit der Lieder sämtlicher Charakter von Lynchs Songwriting abhanden kam. Die Akkorde waren so perfekt angeordnet und poliert wie ein Chart Hit, der Refrain dauerhaft mitzusingen und anschließend zu vergessen wie eine zig Mal gehörte Schallplatte die man aus Verzweiflung ausgräbt, weil sie ja dann eben noch gerade so reicht. Spätestens bei Lynchs Aussage, er würde die „Scheiße jetzt weghauen“ und seinem anschließenden kurzen Nippen am Bierglas war klar, dass der Brite nicht ganz halten kann, was er verspricht. Im heutigen Feld an wirklich talentierten Songwritern, die akustische Musik neu zu erfinden versuchen, ist dieser Mann leider ein Beispiel für die breite Masse an Nachmachern, die allein durch Kundmachen ihrer Sorgen im faden Kleid der egozentrischen Musik nie zum Tanz aufgefordert werden dürften.

DecadeWesentlich anders verhielt es sich aber mit den Poprockern von Decade: Der solide Sound der Band als auch eine unerwartet energetische Performance der beiden Gitarristen weckten die Masse schleunigst auf und evozierten erstes Kopfnicken. Im Zuge ihres jüngsten Albums „Pleasantries“ war ihr Set gespickt von treibenden Rhythmen und einem äußerst prominenten Tamburin, welches Sänger Alex Sears scheinbar im Schlaf zu spielen vermochte. Der krasse Kontrast zwischen den Hardcore Moves der Gitarristen und dem steifen Oberkörpers des Sängers wirkte drollig und bot dem Zuschauer in jedem Fall neben der sehr guten Musik auch etwas für das Auge. Lieder wie „Wasted“ oder „Daisy May“ zeigen die Band in ihrem natürlichen Habitat: rifflastig, verspielt und gefährlich stark im Ohrwurmcharakter. Fans von Newcomern wie Basement werden mit dem Quintett ihren Spaß haben.

Deaf HavanaDen Schluss machten Deaf Havana. Nach mehreren schwierigen Jahren und einem absolut geflopten Album scheint es so, als wäre für die Band endlich der grüne Zweig in Sicht. Die Hochverlegung der Show vom Kesselhaus in die Halle des Schlachthofs sollte hierbei nicht das einzige Indiz sein: Trotz seiner noch immer durchweg zynischen Ansagen hinsichtlich seiner traurigen und selbstzerstörerischen Gedankengänge wirkten James Veck-Gilodi und Co. wesentlich positiver gestimmt als noch wenige Jahre zuvor. Mit einer bunt gemischten Setlist wurde das musikalische Spektrum der Band adäquat präsentiert. Neben neueren Hymnen wie dem Opener „Fever“ oder dem mitreißenden „Sing“ wurden auch alte Geheimtipps à la „Leeches“ nicht vernachlässigt und unterstützten erfolgreich die Brücke zwischen Alternativrock und Folk, die die Band die letzten Jahre zu schlagen versucht hat. Eben dieser Aspekt wurde besonders prominent im verzaubernden „Hunstanton Pier“, bei dem die Gitarren so sehr glitzerten wie die Funken an Nostalgie, die unsichtbar im Raum entfacht wurden. Es ist schon erstaunlich, dass Deaf Havana es trotz ihrer außerordentlichen Qualitäten als laute Rockband noch schaffen, ein derart dynamisches Lied live genauso eindrucksvoll zu überliefern wie auf der CD. Veck-Gilodis schmerzlich rührende Stimme trug ihren Teil dazu bei und versetzte so einige Zuschauer in Melancholie. Bemerkenswert ist besonders seine Überlieferung als ob eine verzweifelte Seele um Hilfe schreien würde, aber die helfenden Hände nicht erreichen könnte. Dieser Gefühlsstrang zieht sich durch das gesamte Set, und wird im abschließenden schönen „Caro Padre“ besonders in den Vordergrund gerückt. In einem starken Zugabenblock bestehend aus „Trigger“, „Boston Square“ und Anemophobia Part II“ wird der Zuhörer mit einer positiveren Grundstimmung abgeholt und zufrieden nach Hause geschickt.

Man merkt der Band an, dass sie es gewohnt ist, sonst kleine Clubs zu spielen. Trotz einer äußerst spärlichen Produktion mit nahezu keinem Licht sind Deaf Havana jedoch definitiv weiterzuempfehlen. Für Fans der Reflexion über eigene Fehler, die auf der Suche nach dem passenden Soundtrack für ihre Emotionen sind, ist hier definitiv alles Nötige dabei. Mit ganz viel Glück können die Jungs auf ihren nächsten Touren ihre angestrebten Ziele erreichen und die Hallen ausverkaufen, ohne an Ehrlichkeit und Gesicht zu verlieren.