Zurück in die Realität. Auf Panorama wenden sich La Dispute von den fiktiven Geschichten Jordan Dreyers ab – und vertonen eine Autofahrt.
Jeder hat dieses Szenario womöglich schon mal erlebt. Man befindet sich im Auto, fährt auf einer bekannten Route und um einen herum stehen die Wälder und Häuser, die so vertraut erscheinen. Genau dieses Szenario liefert den Stoff für La Disputes viertes Studioalbum Panorama. Denn was dem neuen Werk der Band zugrunde liegt, sind nicht etwa die komplex erdachten Geschichten, die noch die beiden Vorgängeralben Wildlife (2011) und Rooms Of The House (2014) durchzogen. Vielmehr skizziert es eine sehr persönliche Reise, von Sänger Jordan Dreyer und seiner Lebensgefährtin. Diese Reise führte die beiden von Dreyers Heimat Grand Rapids, Michigan in den nicht weit entfernten Heimatort Lowell seiner Freundin. Auf der Strecke verteilt befinden sich viele Orte, an denen Menschen auf verschiedene Art und Weise, gestorben sind. Da ist zum einen der Teich, in welchem ein Mann im Winter ertrunken ist oder die vielen Stellen, an denen Menschen bei Autounfällen ums Leben gekommen sind.
All diese Geschichten scheinen weit entfernt und nicht wirklich greifbar. Jordan Dreyer aber betrachtet sie aus seinem eigenen Blickwinkel, interpretiert sie auf seine Weise. Und so bereiten die bereits vorab veröffentlichten Tracks Rose Quartz und Fulton Street I den Hörer erstmal behutsam auf das Anstehende vor. Nach einem sphärischen Intro erhebt Dreyer seine Stimme, zunächst ruhig und fast schon flüsternd. Es folgt ein Auftürmen, das aber nicht lange anhält. La Dispute geben sich zunächst behutsam, bauen die Spannung zum Ende des Songs aber wieder kontinuierlich auf. So ganz lassen sich die US-Amerikaner aber noch nicht aus der Reserve locken. Der zweite Teil von Fulton Street beginnt ähnlich verhalten wie der erste Teil. Dann aber ein Gedankenstrom, verstreute Lichte, schnelle Autos. Irgendwo am Straßenrand lauert der Tod, das Leben zieht vorbei. La Dispute nehmen Fahrt auf, kreieren mitreißende Momente und Dreyer ringt um Worte. Was folgt ist ein Strom an Musik, an Ausdrücken, und das Feedback der Gitarren.
Zwischen diesen ganzen bedrohlichen, aber hauptsächlich mitreißenden und eindrückenden Klangwellen reihen sich mehrere Emo-Balladen à la American Football ein. Da wäre zum einen Rhodonite And Grief, das samt Trompete daherkommt oder There You Are (Hiding Place), das zunächst, umgarnt von lieblichen Gitarren, immer tiefer im Slowcore-Sumpf versinkt. Dann aber das altbekannte Bild: Ein wütender Jordan Dreyer und eine vor Energie strotzende Band, die den Karren wieder aus dem Sumpf heraus ziehen.
La Dispute machen eben das, was La Dispute ausmacht und sie an die Speerspitze des modernen Post-Hardcore befördert hat. Die intensive Spannung aus brachialen Hardcore-Ausbrüchen, wilden Gesangspassagen (Anxiety Panorama) und absoluter Ruhe (In Northern Michigan), durchzieht das ganze Werk. In einem Moment sind La Dispute erdrückend, einengend und wuchtig, im nächsten lassen sie wieder ab. Und wenn Panorama mit dem längsten Stück You Ascendant abschließt, kommt die Erkenntnis, dass das alles so zusammengehört – und man selber seine Augen für die kleinen Dinge im Leben schärfen sollte.
Label: Epitaph
VÖ: 22.03.2019Genre: Post-Hardcore
Vergleichbar:
Viva Belgrado – Ulises
American Football – American FootballWertung:
11/15