Review: Razzia – Am Rande von Berlin

Eine der dienstältesten Punkrock-Bands des Landes meldet sich zurück: Die Hamburger Razzia veröffentlichen mit Am Rande von Berlin ihr erstes Album mit Sänger Rajas Thiele seit 1991.

1979 gründeten die Brüder Andreas (Gitarre) und Peter Siegler (Schlagzeuger) zusammen mit Thiele Razzia. Bassist Sören Callsen und der zweite Gitarrist Frank Endlich komplettierten die Band. Nach den vier Studienalben Tag Ohne Schatten (1983), Ausflug mit Franziska (1986), Menschen zu Wasser (1989) und Spuren (1991) sowie der Live-Mini-LP Los Islas Limonados, lösten sie sich 1992 auf. Ab 1993 waren Razzia in veränderter Besetzung ohne Callsen, Endlich und Thiele aktiv. 2011 fand die Band in fast vollständiger Original-Besetzung wieder zusammen: Der frühere Schlagzeuger Siegler spielt jetzt Bass, dessen Posten nimmt Joachim Bernstorff ab.

Acht Jahre später erscheint mit Am Rande von Berlin ihr achtes Album,  das auch soundtechnisch eine Rückkehr zu den Anfangstagen darstellt und nach dem eingängigen Vorgänger Relativ Sicher Am Strand, musikalisch sperriger ausgefallen ist. Für Hoffnung sind Andere zuständig, Razzia setzen in ihren Texten auf Dystopie. Bereits der zweite Song Nicht in meinem Namen ist ein Abgesang auf unseren Planeten, der vom Menschen zugrunde gerichtet wird: „Ein Kontinent verdurstete/ Ein Kontinent verbrennt/ Er stirbt an einer Krankheit/ die sich Menschheit nennt.“ Auch der nachfolgende Titeltrack verbreitet Weltuntergangsstimmung und zeichnet das Bild von einem von Katastrophen gebeutelten Berlin, Massensterben und saurem Regen inklusive. Passend dazu beschäftigt sich das nachfolgende Berchtesgarden mit dem Klimawandel. Die plakativen Slogans wie in Nicht in meinem Namen funktionieren, während Songs wie Rezeptur der Angst oder Der böse Frau an ihrer gewollten Verstiegenheit kranken, siehe: „Ein Mädchen frisch wie welkes Laub/ Farbenfroh wie Kellerstaub/ Die Haare bleich und fahl/ Aus geflochtenem Mondlichtstrahl.“ Gefährlich wird es bei Wer die Märchenstunde stört, dessen Refrain auch „Fake News“-Schreihälse mitsingen können. Seine Texte trägt Thiele mit vom Leben gezeichneter Reibeisen-Stimme vor, mehr bellend als singend. Dazu spielt seine Band Punkrock, der sich Zeit lässt – acht der 14 Songs knacken die Vier-Minuten-Marke. Jedem Ende wohnt ein Zauber bei, in dem Thiele die letzte Minute „Gefangene nennen es Freiheit“ grölen darf und das mit Akustik-Gitarren-Intro startende Nicht in meinem Namen profitieren von der Ausdauerfähigkeit. Wer die Märchenstunde stört und Ein Hauch von Wandlitz ziehen sich dagegen in die Länge. Mit über einer Stunde Spielzeit ist Am Rande von Berlin insgesamt zu lang geraten.

Im Vergleich mit Slime, mit denen sie sich die Heimatstadt und das Gründungsjahr teilen, und ihrem aktuellen Album Hier und Jetzt, gehen Razzia als Sieger hervor. Am Rande von Berlin eignet sich dazu, um sich die Beschissenheit der Dinge vor Augen führen zu lassen. Alteingessene Fans dürfen beherzt zugreifen, die Jüngeren lassen sich lieber von Pascow oder Love A die Welt erklären.

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Label: Major
VÖ: 29.03.2019

Genre: Punkrock

Vergleichbar:
Kumpelbasis – Der Luxus unter wilden Tieren
Hass – Allesfresser

Wertung:
8/15