Man hat Glück, wenn man sich gewisse Freiheiten nehmen kann: Trade Wind, das Nebenprojekt um Stick To Your Guns Frontmann Jesse Barnett und Stray From The Path Gitarrist Tom Williams, begeben sich auf dem Zweitwerk in eine noch ruhigere Ecke, die den sonst so lautstarken Musikern erstaunlich gut steht.
Während der Vorgänger You Make Everything Disappear und besonders die EP Suffer Just To Believe auf eine Konsonanz zwischen mitnehmenden lyrischen Passagen und eingestreuten Post-Hardcore Elementen setzt, verzichtet das Quartett auf Certain Freedoms weitestgehend auf Verzerrung und lautere Ausbrüche. Am deutlichsten sieht man das schon beim zweiten Lied No King But Me: begleitet von einer akustischen Gitarre und mehrstimmigem Gesang wirkt der Refrain und Endteil des Liedes etwas zurückgenommener und nachdenklicher als zuvor. Sänger und kreativer Kopf des Projektes thematisiert nach dem herzzerbrechenden, eine Trennung verarbeitenden Debütalbums hier Beziehungsängste (Certain Freedoms) und Herausforderungen, dem Partner als tourender Musiker gerecht zu werden (siehe I Can’t Believe You’re Gone). Der Titelsong präsentiert die wohl größte Hook der sonst eher subtil gehaltenen Platte; I Can’t Believe You’re Gone spielt effektiv mit verträumtem, jazzartigen Klavier, welches dem verhaltenen Sound sehr gut steht.
Die zweite Hälfte des Albums besteht größtenteils aus sehr kurzen, zweiminütigen Stücken, die im Verhältnis zum ersten Teil mehr wie vertonte Gedichte als zusammenhängende Songs klingen (Moonshot). How’s Your Head kommt sogar schon fast ohne Gesang aus, und driftet vollends in eine balladeske Deftones Welt ab. Am gelungensten ist hier jedoch Flower Machine, welches Akkordfolgen à la OK Computer von Radiohead in den Vordergrund stellt. Außerhalb des Albums fühlen sich diese Stücke und insbesonders Untitled II ein wenig schwächer an als der Rest, fließen aber im Rahmen des Gesamtwerks sehr gut ineinander, was den dauerhaften Strom eines ruhigen Flusses evoziert. Mit Nashinga endet das Hörvergnügen in größter Melancholie, was den Tenor des Albums adäquat zusammenfasst: Wie schon in Interviews behauptet, nehmen sich die Musiker auf Certain Freedoms Freiheiten, eine Soundwelt zu erkunden, die gänzlich von den Hauptprojekten differiert und eine Liebe für hypnotisierende Atmosphärik und Tremolo-Gitarren hervorhebt. Setzt man sonst auf Härte, sind Trade Wind auf ihrem Neuwerk stark darauf aus, Songwriterqualitäten und musikalische Finesse zu beweisen. Dies schaffen sie weitestgehend auf interessante Art und Weise mit gelungenen Produktionskniffen sowie Gitarrenparts, die zum Dahinschmelzen sind.
Insgesamt ist Certain Freedoms ein gutes Album, das an manchen Stellen vielleicht ein wenig mehr Biss und Experimentierfreude hätte gebrauchen können. Man hat den Eindruck, Trade Wind würden sich musikalisch nach jeder Veröffentlichung musikalisch noch mehr nach innen kehren. Diese CD setzt den Trend fort, ist das mit Abstand ruhigste Werk der Band und schreit nach einsamen, verregneten Tagen. Wer also Action sucht, findet diese hier nicht, kommt dafür aber emotional gänzlich auf seine Kosten.
Label: Warner
VÖ: 26.04.2019Genre: Alternative Rock, Indie, Post-Rock
Vergleichbar:
Radiohead – OK Computer
Bon Iver – For Emma, Forever AgoWertung:
11/15
Trade Wind spielen folgende Konzerte (für Tickets hier entlang):
26.04.2019 BEL- Merhout- Goezrock
27.04.2019 DE- München- Impericon Festival
28.04.2019 AT- Wien- Werk
29.04.2019 DE- Nürnberg- Z Bau – Roter Salon
30.04.2019 DE- Münster- Uncle M Festival
01.05.2019 DE- Hamburg- Hafenklang
02.05.2019 DE- Berlin- Musik&Frieden
04.05.2019 DE- Köln- Club Volta
08.05.2019 DE- Wiesbaden- Kesselhaus
09.05.2019 CH- Aarau- Kiff
10.05.2019 DE- Stuttgart- Keller Club
11.05.2019 DE- Iserlohn- Dechenhölle