Review: Lindemann – F & M

Doppelt hält besser. Sänger und Lyriker Till Lindemann bietet dem Musikmarkt dieses Jahr, zusätzlich zum im Mai erschienenen Rammstein Album, erneut viel Material zum Zähne knirschen und reflektieren.

Während das Debüt Skills in Pills vollends auf Englisch verfasst wurde, ist F & M in deutscher Sprache komponiert. Der offensichtliche Vorteil hiervon ist, dass dem Zuhörer Lindemanns Fünftklässler ABC Englisch erspart bleibt.

Das Zweitwerk beginnt mit Steh auf. Die eingängige Vorabsingle ist in seiner vorwärtsgerichteten, selbstsicheren Komposition ein guter Weg, die Platte zu eröffnen. Auch wenn die Streicher stark herausfallen im Gesamtmix, offenbart der solider Refrain Lindemanns Potential, ergreifende Hooklines zu produzieren. Die Kurzweiligkeit der Single erhöht den Replay-Faktor zudem immens. Das Folgelied Ich weiß es nicht geht mit seinem düsteren Industrial in eine ähnliche Richtung, orientiert sich aber mehr an klassischen, rifflastigen Rammstein Songstrukturen. Lediglich der Klang der Synthesizer wirkt arg konstruiert und künstlich: diese Dudeln in Achteln vor sich hin und nerven mehr, als dass sie dem Klangbild etwas beisteuern.

Allesfresser ist womöglich einer der versteckten Hits, den es unbedingt live zu hören gilt. Das stampfende Schlagzeug ist hier kongruent zu den Synthesizern, und es scheint, als hätte dieses Lied aus den Fehlern von Ich weiß es nicht gelernt. Die Thematik des Verlangens nach Übersättigung und des Vollfressens ist ebenso urkomisch wie schlau ausgeführt: Lindemann schlüpft mit seinen Worten in den Kopf eines Menschen, der krankhaft nach Essen ringt und quasi zum Jäger auf Nahrung wird. Die Instrumente sind ebenso direkt wie der Text, und man kann sich bildlich genau vorstellen, wie Lindemann bei Auftritten seine Oberschenkel mit den Fäusten massieren wird.

Von den sanfteren Liedern ist Knebel das absolute Highlight – Lindemann thematisiert die Schwierigkeit der Liebe und erklärt, dass er nur in der Lage ist, seine Gefühle auszudrücken, wenn er seine Liebschaften knebelt. Der düster morbide Text wird von einem unerwarteten Bruch gestützt, bei dem das Lied von akustischem Songwriter Geträller schnell in brutalen Metal umschwingt.

Doch leider wird diese solide erste Hälfte der CD von drei wenig berauschenden Liedern untergraben. Von der belanglosen Komposition von Frau & Mann, die sich in einer grausamen AIAIAI-Hook und genderstereotypischen Slogans materialisiert, zu Tango im deutschen Volksmusikgewand (Ach so gern) und einem kitschigen Zweitversuch, mit Trommeln und Brimborium an Roter Sand anzuknüpfen (Schlaf ein), zeigt diese Auswahl alles auf, was an dem Album ungelungen ist.

Gummi kann diesen bitteren Geschmack wieder ein wenig loswerden. der eindeutig zweideutige Titel thematisiert einen ebenso absurden wie grotesk witzigen Kondomfetisch. Die Darbietung Lindemanns strahlt nur so vor Stolz für seine Vorlieben und ist eines der vielen Beispiele dafür, warum Till Lindemann in seiner Lyrik und Präsentation nicht imitierbar ist.

Auf der aktuell auf Spotify gelisteten Deluxe Version der CD bekommt man nach dem gelungenen Kommentar zum Rockstardasein in Platz Eins noch zwei extra Lieder auf die Hand. Wer Weiss das schon greift nach den Sternen in seiner emotionalen Tiefe und kann auf instrumentaler Ebene direkt an Ohne Dich anknüpfen. Die kitschigen und recyclebaren Texte Lindemanns dämmen die Hörerfahrung allerdings leider ein. Der bereits bekannte Song Mathematik, der die Massen mit seinem Haftbefehl Feature stark gespalten hat, ist auf der Platte leider nur eine geschmacklose B-Variante eines ursprünglich witzigen Songs, der nun dekonstruiert wirkt und seinen eigentlich Charakter vollkommen verloren hat. Was bleibt ist ein Lied, welches in VBT Runden aufs Derbste zerrissen werden würde. Es ist ein Understatement zu behaupten, dass das Album ohne die Bonustracks auskommt.

Till Lindemann wagt viel Neues auf seinem Zweitwerk, von dem genauso viel grandios gelingt, wie dass es schiefgeht. Während das Album Erstentdecker vielleicht wegen seiner gemischten Farbpalette an Stilen abschrecken wird, dürften Fans der meist obszönen Liedtexte des Rammstein Frontmanns dennoch viel Gefallen an den neuen Kompositionen finden – diesmal ganz ohne die sprachliche Eingrenzung durch wenig berauschendes Englisch.

Label: Universal Music
VÖ: 22.11.2019

Genre: Metal, Neue Deutsche Härte, Singer/Songwriter

Vergleichbar:
Rammstein – Rammstein (2019)
Mono Inc. – Together Till the End

Wertung:
6/15