So viel darf an dieser Stelle verraten werden: Turbostaats siebte Platte ist ziemlich gut geworden. Stadt der Angst (2013) war der Flirt mit dem Indie, Abalonia (2016) das Indiepunk-Konzeptalbum mit Blick auf die Welt, Uthlande denkt dagegen kleiner und kehrt vor der eigenen Haustür.
Beziehungsweise vor der Haustür, vor der sie aufgewachsen und groß geworden sind. Uthlande ist ein alter Begriff für die Halligen, Inseln und Marschen vor dem nordfriesischen Festland und klug gewählt für eine Platte, die so stark wie keiner ihrer Vorgänger die Herkunft der fünf Husumer betont. Das stilvolle Cover-Motiv stammt aus einem Gemälde des Großvaters von Gitarrist Marten Erbsen. Auch Zeilen wie „Und das Meer kommt und geht“ (Luzi), „Das ist kein Leuchtturm, es frisst sich durch die Nacht“ (Hemmingstedt) oder Ein schönes Blau samt Video, das die Band in VHS-Optik mal auf einem Steg, am Deich oder am Hafen zeigt, atmen nordfriesischen Flair. Ein schönes Blau ist ein treibender und melancholischer Song, typisch Turbostaat, der die Geschichte eines Lebens auf der Insel erzählt – von der Kindheit, der Teenage-Angst der Jugend, die Enge und Zwänge der Provinz, dem Verlust von Freunden. Präsentiert in DIA-Vortrag-Manier: Bilder werden an die Wand geworfen, ehe sie verarbeitet sind, kommt bereits das nächste. Für sich wirkungsvoll, Sinn ergeben sie aber erst im Kontext. Anders ausgedrückt: „Idioten bei der Treibjagd/ Und sie schossen dir in Hals/ ein Plattenspieler springt schon mal raus“.
Die Texte, geschrieben von Gitarrist Ebsen, leben vom Assoziativen, vom Unbestimmten und lassen dem Hörer genug Interpretationsspielräume, die gefüllt werden wollen. Immer wieder blitzt dabei eine in ihrer Unmittelbarkeit schmerzhafte Klarheit auf, „Und sie kommt nicht mehr zurück“ aus Meisengeige zum Beispiel. Die Songs sind nicht offensichtlich politisch, eher winkt das Politische im Privaten hinterm Gartenzaun hervor, wie in der Außenseitergeschichte Stine oder im starken Schwienholt. Nicht zu übersehen ist die Botschaft im Opener Rattenlinie Nord, benannt nach der Fluchtroute von NS-Verbrechern, mit dem Turbostaat das Ansteigen rechter beziehungsweise nationalistischer Tendenzen in Deutschland ansprechen und einen Ausblick darauf geben, was passieren kann, wenn Parteien wie die AFD an die Macht kommen: „Und ich seh euch wieder schleichen auf der Rattenlinie Nord.“
Dazu macht die Band das, was sie seit mittlerweile 21 Jahren macht, sie spielt flotten, eindringlichen Punkrock mit Post-Punk-Einschlag. Das klingt so gut wie immer, aber mehr nach den Anfangstagen als nach dem ausformulierten Indie-Post-Punk von Abalonia. Überraschungen gibt es wenig, aber dafür Gitarren, in die man sich schmeißen, und Sätze, die man mitschreien will, bis die Stimmbäder reißen. Dass die von Sänger Jan Windmeier noch halten, scheint ein Wunder der Natur, wenn man beachtet, wie er auf Uthlande wütet, schreit und dabei immer wieder an den großen Jens Rachut erinnert. Das neue Jahr ist gerade erst gestartet, und Deutschpunk hat bereits das was es verdient: Ein Album, an das sich in diesem Jahr alle anderen Bands der Szene messen lassen müssen.
Label: Pias/ Rough Trade
VÖ: 17.01.2020Genre: Punkrock, Post-Punk, Indierock
Vergleichbar:
Captain Planet – Inselwissen
Love A – Jagd und HundWertung:
12/15