Zweieinhalb Jahre nach Veröffentlichung bringen Bring Me The Horizon endlich ihre jüngste Platte Post Human: Survival Horror auf die deutschen Bühnen und liefern ihre bis dato durchdachteste Show ab, mit der sie sich endgültig in die Riege der größten Rockbands des 21. Jahrhunderts katapultieren.
Davon zeugt auch der Fakt, dass es sich bei der ausverkauften Show in der Frankfurter Festhalle – bei einer Kapazität von bis zu 15.000 Menschen – um das bislang größte eigene Konzert der Band aus Sheffield in Deutschland handelt. Zudem lässt sich beobachten, dass das Publikum der Briten 2023 bunt gemischt ist – Bring Me The Horizon sind nicht nur aus der Metalcore-Szene herausgewachsen, auch ihre Fans sind nicht mehr klar in einzelnen Szenen zu verorten, stattdessen ist die Band längst im Mainstream angekommen. Dass das nichts Schlechtes sein muss, haben Bring Me The Horizon in den vergangenen Jahren selbst am allerbesten bewiesen. Nachdem Amo 2019 größtenteils wie die endgültige Abkehr von der Rock- zur Popmusik wirkte, veröffentlicht das Quintett keine zwei Jahre später das Minialbum Post Human: Survival Horror, auf dem es nicht nur wieder treibenden Alternative Rock spielt, sondern phasenweise sogar an den Metalcore vergangener Tage anknüpft. Anno 2023 haben sich Bring Me The Horizon also von jeglichen Genres befreit und sich eine künstlerische Freiheit wie kaum eine andere Band dieser Größenordnung erspielt.
Da wirkt es jedoch etwas schade, dass die Band bei all ihrem Einfluss kein diverseres Line-up für ihre Tour zusammengestellt hat, sondern bei allen vier Acts ausschließlich Männer auf der Bühne stehen. Den Anfang machen Static Dress aus Leeds, die leider wie viele andere erste Bands eines Konzertabends in der Festhalle unter einem matschigen Sound leiden. Musikalisch weiß das Quartett mit seinem eigenen Ansatz von Screamo jedoch zu überzeugen, was auch an Frontmann Olli Appleyard liegt, der sowohl gutturalen als auch Klargesang meistert. Während der Opener Disposable Care in fiesem Geschrei und einem ersten Breakdown mündet, beendet das abschließende Clean. das Set nach 25 Minuten mit etwas mehr Zugänglichkeit, ohne jedoch soft zu sein. Hin und wieder formieren sich zudem erste kleinere Pits. In Erinnerung bleiben wird vor allem der lediglich als Contrast bekannte Gitarrist, der mit einer an den Riddler aus der jüngsten Batman-Verfilmung erinnernden Maske auftritt.
Ebenfalls unter einem schwammigen Sound leidet auch der Auftritt von Poorstacy alias Carlito Milfort, dem zudem die noch fehlende Bühnenerfahrung anzumerken ist. Laut Setlist.fm ist der 23-jährige Emo-Rapper vor der heutigen Show erst 20-mal aufgetreten, was sich etwa in merkwürdig langen Pausen zwischen den Songs oder teils katastrophalem Klargesang in Children Of The Dark bemerkbar macht. Deutlich besser klingt jedoch sein mitunter recht dreckiges Geschrei. Für einen gelungenen Moment sorgt trotz merkwürdigem Hall auf seiner Stimme in der Mitte des halbstündigen Sets eine Akustikballade, zu der tausende Handylichter erleuchten. Auch weil sich das Publikum nicht so recht einigen kann, ob es jetzt nun Moshen möchte oder nicht und gleich mehrfach ein Teil der Anlage kurz ausfällt, wirkt die Performance von Poorstacy eher unglücklich. Das ist vor allem schade, weil seine Musik zwischen Post-Punk, Punkrock, HipHop und NuMetal Potential für eine energische Liveshow bietet.
Die fackeln A Day To Remember anschließend ab. Bereits beim ikonischen Opener The Downfall Of Us All öffnet das nun lautstarke Publikum den ersten großen Moshpit, der auch erst nach dem 13 Songs starken und 50-minütigen Abriss wieder geschlossen wird und sich an dritter Stelle zu Paranoia in einen Circlepit verwandelt. Obwohl die Pop-Punk-goes-Metalcore-Band aus Ocala, Florida seit 2021 nur noch zu viert und ohne Bassist auftritt, überzeugt ihr gitarrenlastiger Sound im Gegensatz zu Static Dress und Poorstacy, was auch an Frontmann Jeremy McKinnon liegt, der sich stimmlich in Topform zeigt. Zu begeistern weiß auch die Marshmello-Zusammenarbeit Rescue Me, dessen EDM-Drop A Day To Remember live mit einem druckvollen Gitarrenriff versehen, während ihre Crew zahlreiche Wasserbälle ins Publikum wirft, die dort während des Songs fröhlich umherfliegen.
Zum Großteil spielen A Day To Remember dieselbe Setlist wie bei ihren Festivalauftritten bei Rock am Ring und Rock im Park im vergangenen Jahr. Anstelle von Mindreader wird das aktuelle Album You’re Welcome neben Resentment von Bloodsucker vertreten, das vom ikonischen Pfeifen aus Spiel mir das Lied vom Tod eingeleitet und von einem Gitarrensolo von Kevin Skaff abgeschlossen wird. Nicht auf der Setlist steht Sometimes You’re The Hammer, Sometimes You’re The Nail, während die neue und Pop und Geballer verbindende Single Miracle den Platz von Mr. Highway’s Thinking About The End einnimmt. Teil jeder A-Day-To-Remember-Show ist dagegen die Ballade If It Means A Lot To You, die McKinnon Bring Me The Horizon widmet, die A Day To Remember als erste Band in Übersee mit auf Tour genommen haben, ehe im finalen All Signs Point To Lauderdale ein Crewmitglied Merchandise der US-Amerikaner mit einer T-Shirt-Kanone ins Publikum schießt.
Das ist pünktlich zum Headliner des Abends endgültig auf Betriebstemperatur. Bevor aus einzelnen Moshpits wie bei den vorherigen Bands zumindest im ersten Wellenbrecher ein einziges großes Gedränge wird, meldet sich auf der riesigen LED-Leinwand die künstliche Intelligenz Eve, vermutlich benannt nach dem Bring Me The Horizon-Song Parasite Eve. Eve heißt alle Gäste der „Post Human European Tour“ willkommen und scannt das Publikum nach möglichen Moshpits. Weil sie keine findet, bittet sie darum, den Kreis zu öffnen, woraufhin Bring Me The Horizon zu Can You Feel My Heart die Bühne betreten und das Publikum die Festhalle gleichermaßen in einen großen Schubskreis und eine Trampolinhalle verwandelt. Während bei den drei vorherigen Bands lediglich das Bandlogo auf der LED-Leinwand zu sehen war, flimmern bei den Briten während der Songs dort Livebilder von der Bühne sowie auf die Songs abgestimmte Animationen. Beim Opener sind dort etwa pulsierende Herzen, bei Happy Song Smileys und bei dem sich mit der Corona-Pandemie befassenden Parasite Eve Videospiel-artige Bilder einer Zombieapokalypse zu sehen.
Zwischen den Songs läuft auf der LED-Leinwand jeweils eine kurze Sequenz, in der die vermeintliche Datei des jeweils nächsten Songs geladen wird. Obwohl vor Beginn der Eindruck erweckt wird, dass Eve durch die ganze Show durchführen wird, meldet sie sich nur noch einmal vor Dear Diary mit der Anweisung, doch bitte einen Circlepit zu starten. Ansonsten führt Frontmann Oliver Sykes durch das insgesamt 80 Minuten lange Konzert seiner Band und leitet mit seinen Ansagen stets den folgenden Song ein. Vor Parasite Eve fragt er etwa, wie das Publikum die Pandemie und die Lockdowns gefunden habe, während er vor Die4u emotional erklärt, dass auch die deutschen Fans seiner Band mehrfach das Leben gerettet haben. Erstaunt zeigt er sich darüber, dass Sempiternal inzwischen ganze zehn Jahre alt ist. Darüber hinaus fordert er immer wieder in bekannter Manier und bestem britischen Akzent das Auditorium zum Moshen auf, beim akustisch vorgetragenen Follow You ruft er dagegen dazu auf, Menschen auf die Schultern zu nehmen, ehe die Festhalle erneut von tausenden Handylichtern illuminiert wird.
Die 15 Songs lange Setlist verteilt sich auf vier Alben sowie die bislang für sich alleinstehenden Singles Die4u und Strangers. Während Amo lediglich von Mantra vertreten wird, gibt es von Sempiternal drei und von That’s The Spirit vier Songs zu hören. Post Human: Survival Horror ist hingegen mit ganzen fünf Songs am prominentesten vertreten und es spricht für das Album, dass das Song-Quintett auch live ausnahmslos zu überzeugen weiß. Während Teardrops unverkennbar das Erbe von Linkin Park weiterträgt, entpuppen sich das rasende Dear Diary mit Thrash-Metal-Solo von Gitarrist Lee Malia und fiesem Halftime-Breakdown am Ende sowie die Babymetal-Zusammenarbeit Kingslayer, dem die Interlude Itch for the Cure (When Will We Be Free?) vorangestellt wird, als absolute Live-Highlights. Das gilt auch für die Show von Bring Me The Horizon insgesamt, die sich mit einem starken Livesound, einem größtenteils stimmlich gut aufgelegten Oliver Sykes und einer durchdachten Liveshow endgültig auch hierzulande als würdiger Arena-Headliner beweisen.
© Fotos von Valentin Krach