„Was ist geblieben?“ – eine Frage, die im Laufe eines Lebens öfters mal anklopft. Was ist geblieben von der Naivität und Leichtigkeit der Kindheit, den Lebensträumen, der ersten großen Liebe?
In unserer neuen Rubrik „Was bleibt von…?“ möchten wir diese Frage in Bezug auf Alben stellen. Alben, die bereits erschienen sind und aus der Jetzt-Perspektive seziert werden: Welche Relevanz besitzt die Platte 2020? Welche Songs sind gewachsen? Welche in Vergessenheit geraten? Aber auch, welche Rolle spielte und spielt sie im Leben des/der Autors/Autorin. Dabei soll es vor allem um „versteckte“ Werke gehen, die nicht sofort auf dem Radar erscheinen, wenn über die jeweilige Band gesprochen wird. Zu unrecht vergessen, zu recht geliebt, aus guten Gründen verschmäht.
Wer weiß, vielleicht mogelt sich ja auch der ein oder andere Meilenstein dazwischen.
Die Form bleibt jedem/jeder Autor/Autorin selbst überlassen, von nüchterner Betrachtung bis zur radikalen Liebeserklärung ist alles erlaubt.
Wir wünschen euch viel Spaß mit „Was bleibt von…?“ und Folge 1: Captain Planet – Treibeis.
Ich war 14 Jahre alt als Treibeis erschien, und ein von Hormonen verwirrter Teenager, gefangen in den schwitzigen Armen der Pubertät. In meiner Kindheit hörte ich vor allem das, was mein Vater hörte, Rock- und Metalbands aus den 70ern und 80ern: Journey (Don’t Stop Believin’ halte ich immer noch für einen der besten Songs, der je geschrieben wurde), Rainbow, Deep Purple. Meine ultimative Chartshow-Phase mit neun Jahren hatte ich erfolgreich hinter mir gelassen und war nun dazu bereit, mir meine eigene musikalische Sozialisation zusammenzubasteln, die sich zum großen Teil aus deutschen Slogan-Punkrock-Bands wie ZSK, Slime und Terrorgruppe zusammensetzen sollte. Und dann erschien Treibeis. Ich las im VISIONS Musikmagazin von der Platte, die es dort in Ausgabe 236 bis in die Schönheiten geschafft hatte, und war fasziniert.
Ich kann nicht sagen, was es war, aber mir war klar, die Platte könnte wichtig für mich werden. Hört sich pathetisch an, war auch so. Sofort, Punk durch und durch, bei Amazon runtergeladen (Bitte nicht nachmachen!), gehört und gewusst, das ist es! Die Nervosität in Jan-Arne von Twisterns Stimme, die hastigen Gitarren, die tollen Songs mit großartigen Texten, die ich nicht verstand, mich durch sie aber verstanden fühlte. Rastlosigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit, Trauer – all das und noch viel mehr, steckt und versteckt sich in Treibeis. Für mich, ein Tor zu einer neuen Welt, eine Welt, die intelligent und sloganfrei von dem erzählt, was ich fühle, eine Welt, in der ich mit meiner Verzweiflung nicht alleine bin, eine Welt, in der es mehr von diesen Bands gibt: Turbostaat, Matula, Love A, Pascow, Duesenjaeger, Mikrokosmos 23…
Was aber ist 2020 geblieben von Treibeis?
Für mich, ehrlich gesagt, alles. Jeder Song, jede Zeile. So intensiv wie beim ersten Mal: der Opener und Übersong Pyro (Viva Allein!), das ohne Refrain und Luft holen auskommende Sand in den Augen, „Wie gehst du nur mit den Niederlagen um? Wo üben die, die immer siegen?“ aus Spielplatz, „All das was du von dir gibst/ ist alles, was du selbst nie hören wolltest“ aus Nationalpark, der Aufbruchs-Chor im Schlusslied Gehwegflattern. Alles, für immer! Oft nimmt das erste Album, das man von einer Band hört, der Erstkontakt, eine besondere Stellung in der subjektiven Wahrnehmung der Diskographie des/der Künstlers/Künstlerin ein. So auch bei mir. Das Captain-Planet-Debüt Wasser kommt, Wasser geht (2007) und der Treibeis-Vorgänger Inselwissen (2009) sind ebenso toll, aufwühlend und mit Texten ausgestattet, die helfen, wenn sonst nichts mehr hilft, dennoch: Treibeis ist und wird bleiben, mein Herzensalbum.
PS: Noch schöner als auf Platte, lassen sich Captain-Planet-Songs, und die Songs der meisten Bands, live auf Konzerten genießen. Also, falls es die Situation wieder zulässt, geht’s, frei nach Franz Beckenbauer, raus und hört Musik. Raus in die Clubs, Kneipen, Bars, singt mit, fallt wildfremden Menschen in die Arme, kauft Merch, Getränke, unterstützt die Bands, Kulturschaffenden, die Locations und Veranstalter, und macht euch einen schönen Abend. Bis dahin, bleibt drinnen und hört Captain Planet!
Label: Zeitstrafe/ Cargo
VÖ: 12.10.2012Genre: Punkrock, Indierock
Musikalisches Erbgut:
Turbostaat – Vormann Leiss
Käfer K – Von Scheiternden MühenDiese Songs stechen heraus:
Das ganze verdammte Album.