Was bleibt von…?: Deafheaven – Roads To Judah

In unserer neuen Rubrik „Was bleibt von…?“ stellen wir diese Frage in Bezug auf Alben, die bereits erschienen sind und aus der Jetzt-Perspektive seziert werden: Welche Relevanz besitzt die Platte 2020? Welche Songs sind gewachsen? Welche in Vergessenheit geraten? Diese Fragen beantworten wir in der vierten Folge in Bezug auf Deafheaven und ihr Debütalbum Roads To Judah.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf Deafheaven gestoßen bin. Ziemlich sicher war es aber 2011, und ziemlich sicher war auch Unrequited der allererste Track, den ich von der jungen Gruppe gehört hatte. Blackgaze als Genrebezeichnung war mir da noch gänzlich unbekannt. Dass dieses Genre einen solchen Aufschwung über die Jahre entwickeln sollte, habe ich ebenfalls nicht für möglich gehalten. Die Debatte um die Band Deafheaven und die Frage, ob sie nun eine Bereicherung für den Black Metal darstellen oder nicht, existierte zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht in dem Umfang, in welchem sie heute diskutiert wird. Sehr wohl aber war 2011 jenes Jahr, in welchem der US-amerikanische Black Metal vermehrt in den Fokus der Feuilletonisten rückte.

In diesem Diskurs erschienen Deafheaven allerdings erst mit ihrem Zweitwerk Sunbather (2013). Es steht bis heute als eines der Referenzwerke für den modernen Black Metal, der sich in den 2010er-Jahren (und auch schon in den Jahren davor) in den USA und Europa ausprägte, und als Werk, an welchem sich Deafheaven immer wieder messen lassen müssen. Vielerorts kam damals die Frage auf, ob das überhaupt noch Black Metal sei. Ob die Einstellung der Band, die wilde Genrevermischung und on top auch noch das pinke Cover zu Sunbather überhaupt noch mit den Werten des Black Metal zu vereinbaren wären. Das VISIONS Magazin etwa bezeichnete Sunbather als „das wärmste Album des Genres aller Zeiten und eines der abwechslungsreichsten obendrein“. Wärme und Black Metal sind zwei Konstanten, die doch eigentlich nicht zusammenzupassen schienen. War es nicht der norwegische Black Metal, der eher für Kälte und Todessehnsüchte stand? Die Diskussionen um Deafheaven und ein damit einhergehender Verfall des Genres Black Metal entstanden, angefeuert durch Auftritte auf Indie-Festivals oder Besprechungen in der Indie-Presse.

Zurück aber ins Jahr 2011 und damit zum Debütalbum Roads To Judah und seinen vier Tracks, die gerade mal eine Spielzeit von knapp 40 Minuten umfassen. Was dieses Album für mich so besonders macht ist die Atmosphäre, die jene Songs ausstrahlen. Es gab nicht unbedingt diesen klaren und definierten Sound, der die Band ausmachte. Ab Sunbatherfestigte sich ein Klangbild, welchem die Band bis zum aktuellen Album Ordinary Corrupt Human Love (2018) auch relativ treu geblieben ist. 2011 aber befanden sich Deafheaven noch am Anfang ihrer musikalischen Findung.

Eingeleitet wird Roads To Judah mit dem längsten Song des Albums, Violet. Über eine Supermarkt-Szenerie legen sich schwammige Gitarren, die jedem Post-Rock-Track gut zu Gesicht stehen würden. Deafheaven setzen auch hier schon einen Schwerpunkt ihres Songwritings auf die überraschenden Momente. Nachdem sich das Schlagzeug erst ein bisschen in diese Szenerie einfinden darf, entwickelt sich Violet zu einem monströsen Sturm, angefeuert von wilden Blastbeats. Die Gitarrenarbeit bleibt schwammig und ist mehr auf die Erzeugung breiter Klangflächen ausgelegt. Von Soli oder auch mal untypischen Akkordprogressionen, wie sie in den späteren Alben eingestreut werden, ist hier überhaupt keine Spur. Nachdem sich das Schlagzeug genug ausgetobt hat, verfällt der Track wieder in einen tiefen Schlaf, in welchem die hohen Tremolo Pickings der Gitarre immer wieder herausstechen.

Auf Roads To Judah pendeln Deafheaven zwischen Träumerei und Realität, Liebe und Hass, Angst und Hoffnung. Gerade noch in den träumerischen Fängen von Violet gefangen, rutscht man im darauffolgenden Language Games wieder in das große Unbekannte. Und doch fühlt man sich dort gut aufgehoben, George Clarkes wildes Geschrei fängt den eigenen Schmerz und saugt ihn auf eine gewisse Art auf.

Was folgt ist Unrequited, jener Track, der mich bis heute noch so fesselt. Das Hauptmotiv ist eine einfache Gitarrenmelodie, umgarnt von der hallenden Gitarrenwand. Beim ersten Hören wurde ich davon aufgesaugt, bis mich die einsetzenden Blastbeats noch tiefer in die Musik reinzehrten. Diese Emotionen, die allein musikalische Klänge auslösen können, waren mir irgendwie fremd, aber ich wollte diese weiter erforschen, tiefer in diese Emotionen eindringen. Gleichwohl sind und waren es die Kleinigkeiten, die mich so fesselten. Tunnel Of Trees kriegt mich immer wieder, wenn aus den flirrenden Gitarren das Klavier emporsteigt. Dieses macht gar nicht viel, sondern legt lediglich simple Akkorde in die Gitarrenflächen. Doch wenn sie am Ende allein dastehen, löst es eine Glückseligkeit in mir aus.

Was aber ist 2020 geblieben von Roads To Judah?

Für mich steht dieses Album sinnbildlich dafür, seinen eigenen Weg zu finden. Deafheaven waren 2011 noch am Beginn, hatten sie sich doch erst 2010 gegründet. Trotzdem zeigt dieses Album viele Merkmale auf, die bis heute in Deafheavens Musik zu finden sind. Die explosiven Momente, die überraschenden Momente, der Ausdruck von Verletzlichkeit und Emotionalität, der Mut für Unkonventionelles. Das, was Musik eben ausstrahlen sollte. Einen Reiz, eine gewisse Magie, ein Anlaufpunkt für die schwierigen Momente im Leben. Die Band selbst scheint sich nicht mehr unbedingt mit dem Album identifizieren zu können, auf Konzerten werden kaum noch Songs von Roads To Judah gespielt. Und doch war und bleibt es eine einzigartige Momentaufnahme und ein kleiner Anstoß für mich, sich auf Neues einzulassen und überhaupt eine ganz andere Sichtweise auf Musik zu entwickeln. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen der Konsum von Kunst und Musik fast nur noch online möglich ist, ist es wichtig, auf diese Momentaufnahmen zurückzugreifen zu können.

Deafheaven-Roads-To-Judah

Label: Deathwish
VÖ: 26.04.2011

Genre: Black Metal, Post-Rock, Shoegaze

Musikalisches Erbgut:
Birds In Row – We Already Lost The World
Oathbreaker – Rheia

Diese Songs stechen heraus:
Aufgrund der nur vier Songs langen Tracklist, jeder einzelne.