Review: Juse Ju – Millennium

Juse Ju bringt mit Millennium ein zehn Songs starkes Album heraus, das in gewohnter Manier mit einer ordentlichen Portion Humor, Ironie und politischer Haltung überzeugt. An vielen Stellen nimmt der Rapper seine Zuhörer*innen mit auf eine Reise in seine eigene Biografie: es geht um seinen Zivildienst in der geschlossenen Psychiatrie, toxische Beziehungen, Rap in den Nullerjahren in Deutschland und auch um jenes Rap-Battle, bei dem er Fatoni kennengelernt hat. Nebenbei gibt es aber auch teils ironische, teils ziemlich eindeutige Seitenhiebe in Richtung Rap-Business und der dort stellenweise herrschenden Mentalität als auch rechter „Skeptiker“. Ach ja, und in Richtung Autos.

Juse Jus fünftes Album beginnt mit Kranich Kick – einem von drei Songs, die Juse Ju bereits vor Veröffentlichung des Albums in den Ring geworfen hat. Neben der Tatsache, dass der Track ein ziemlich starker Opener ist, der ordentlich nach vorne geht und Lust auf den Rest des Albums macht, ist das zugehörige Video auch noch der Knaller. Und das nicht nur, weil dort unter anderem Panik Panzer (Antilopen Gang), Mine und Fatoni zu sehen sind. Macht euch am besten selbst ein Bild:

Weiter geht es mit dem Titeltrack, einem Deep Dive in die Nullerjahre. Einer Zeit in der Rap in Deutschland quasi tot war. Offensichtlich aber ebenso die Zeit, in der sich Juse Ju vornahm, ins Rapgame einzusteigen: „Rap ist tot – geil, ich will Teil davon sein!“. Auch wenn die Möglichkeit mit Rap seinen Lebensunterhalt zu bestreiten damals wohl mehr als abenteuerlich schien, fing Juse Ju an, an Battles teilzunehmen. Motivation: Battles als „ein Freifahrtschein, andere als Deppen zu beschimpfen“. Fair enough. Einer dieser Deppen war offenbar Fatoni. Der Song erzählt unter anderem die Geschichte, wie sich die beiden bei einem Battle in München kennenlernen – und nach anfänglichen Batlle-Rivalitäten respektive „zwei Augustiner später“ zu Brüdern werden. Hach. Freundschaft nach ein paar Drinks – wer kennt es nicht.

Um Freundschaft geht es auch im Song Sayonara. Genauer gesagt um das Erwachsenwerden in Freundesgruppen, die schon seit der Jugendzeit bestehen. Darum, wie man denkt, alles bliebe irgendwie gleich, solange man zusammen ist. Aber auch darum, wie sich jeder Mensch, der Teil der Freundesgruppe ist, individuell entwickelt. Und dass irgendwann ein Punkt kommt, an dem man feststellt, dass die Jugend vorbei ist: „Und wir drehen durch zu diesen Animé-Songs/ Wenn die Zukunft will, dann kann sie jetzt kommen/ Ich hab‘ immer gedacht, wir hätten super viel Zeit, doch an dem Tag war unsere Jugend vorbei“. Der Song ist eine Hymne auf die Freundschaft, schafft es dabei aber jedem Kitsch fern zu bleiben. Viel mehr zeigt sich hier eine sehr reflektierte Sicht darauf, dass sich Freundschaften über die Zeit verändern, ohne aber an ‚Qualität‘ und Schönheit zu verlieren: „Und ich blick‘ in diese Runde kurz nach Mitternacht/ Und mir fällt es auf, mich hat diese Clique gemacht/ Wir haben zusammen bis hier hin das erste Stück gepackt und mit diesen fünf Jungs hab ich Glück gehabt“. Ich glaube, was mir an dem Song am besten gefällt, ist die Zuversicht, die aus ihm spricht. Und ich denke, einen zuversichtlichen Blick auf unsere Freundschaften können wir – besonders in Corona-Zeiten – ziemlich gut gebrauchen.

Einer der stärksten und gleichzeitig (lyrisch) aktuellsten Song ist Edgelord (mit Milli Dance von Waving The Guns). Hier geht es um jene Menschen, die aktuell leider viel zu viel Platz in gesellschaftlichen Diskursen und besonders auch in den sozialen Medien einnehmen: Alphamänner, rechte Skeptiker und Personen, die sich aufgrund ihrer vermeintlichen Reichweite zu weigern scheinen, sich politisch zu positionieren. Der Song hat so viele starke Lines, dass ich ihn an diese Stelle gerne komplett zitieren würde. Aber ja, ich weiß, das würde den Rahmen sprengen, daher hier nur ein paar Auszüge: Bereits zu Beginn des Songs findet Juse Ju klare Worte für Menschen rechter Gesinnung, die sich selbst gerne verharmlosend als „Skeptiker“ bezeichnen: „Ich bin weder Sender noch Empfänger deiner politischen Agenda, sondern wieder mal am Dienstag da und ziele auf Alphamänner/ Ein Glück, dass du nicht rechts bist, sondern nur skeptisch/ Schön für dich und jetzt hältst du deine Fresse“. Ja. Danke. Du sprichst mir aus der Seele, Juse! Auch Milli Dance spricht in seinem Part Themen an, die im Licht der #blacklivesmatter-Bewegung und der aktuell (zum Glück und zu Recht) präsenten Rassismus-Debatte in Deutschland von großer Wichtigkeit sind. Beispielsweise den Unmut mancher Menschen, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu verändern: „So vieles ist so leicht gesagt mit weißem Teint/ Und unpolitisch sein muss man sich leisten können/ Du hast kein‘ Bock mehr über Politik zu reden?/ Du Ärmster, frag mal jene, auf die Projektile regnen“. Oder auch der schiere Unwille vieler Personen mit einer großen Reichweite in den sozialen Medien, sich zu positionieren: „Und Position beziehen war einmal selbstverständlich/ Aber heute ist es einer Karriere am Mikrofon nicht dienlich“.

Dass Juse Ju sich in seinen Texten politisch positioniert und gerne Autobiografisches abhandelt ist nicht neu. Seine Kritik am Rap-Business und die eigene Positionierung als Außenseiter darin auch nicht. Jedoch zeigt sich auf Millennium auch ein neues feindliches Objekt: das Auto. Dem ist mit Ich hasse Autos (mit Bonzi Stolle und Panik Panzer) sogar ein ganzer Song gewidmet. Dieser sorgt innerhalb der (lyrischen) Albumstruktur für etwas Auflockerung und trägt zum Abwechslungsreichtum des Albums bei, der sich auch im Sound des Albums widerspiegelt: Die Beats auf Millennium kommen von alten Bekannten wie Enaka und Dexter als auch von Kvso Gaki, Xumi Yourz und Cap Kendricks. Für das Producing seines fünften Albums hat sich Juse Ju mit C.O.W. 牛 erstmals ein ausführendes Produzenten-Team ins Boot geholt. Dieses hatte bereits bei den zwei aktuellsten Alben der Antilopen Gang seine Finger im Spiel. Sowohl was den Sound als auch die Lyrics betrifft, ist Millennium ein mehr als würdiger Nachfolger für seinen Vorgänger Shibuya Crossing (2018). Juse Ju ist seinem Stil treu geblieben, hat sich aber an einigen Stellen deutlich weiterentwickelt. Eine Entwicklung, wie man sie sich für all seine musikalischen Lieblingsacts wünscht.

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Label: Juse Ju/Vertrieb durch Groove Attack
VÖ: 19.06.2020

Genre: HipHop

Vergleichbar:
Fatoni – Andorra
Antilopen Gang – Abbruch Abbruch

Wertung:
13/15

https://www.youtube.com/watch?v=CS4qLOLHFwU

Wem die zehn Songs von Millennium nicht reichen, der hat die Möglichkeit, sich beim Kauf des Albums auf CD oder Vinyl noch ein zweites Album – genauer gesagt ein gemeinsames Album mit Bonzi Stolle – dazu zu bekommen: Zu jedem Kauf gibt es Popbizenemy von Massig Jiggs dazu.