Review: anrimeal – Could Divine

Natur, Femininität und Mystik: DIY-Künstlerin anrimeal nimmt Zuhörer auf ihrem Debütalbum auf eine immersive Reise zwischen computerdurchtriebenem Indie-Folk und Impressionismus mit.

Nach einem ursprünglichen Bandcamp Release hat die Songwriterin Ana Rita de Melo Alves Could Divine nun auch über das Londoner Indielabel Crossness Records für alle Streaming Portale veröffentlicht. Und das ist eine gute Nachricht, denn was sich hinter diesem kurzweiligen Album verbirgt, ist Detailliebe im poetisch verschleierten Gewand.

Der Opener Marching Parades trägt den Zuhörer wohlwollend in einen Wald, wo Flüstergesang und Zupfstreicher diesen aufwecken. Gefüllt mit wiederkehrenden Motiven, aber außergewöhnlichen Liedstrukturen teilen die Stücke somit zugleich den Herzschlag des Familiären, als auch des Unbekannten.
Eben solche Unruhe manifestiert sich auch in den unberechenbaren Klangflächen, die es sich sanft im Hintergrund bequem machen wie beim hypnotischen Encaustic Witches.

Ein anderer Aspekt ist die Art und Weise, wie reduziert Melodien getragen und fortgeführt werden. Verwendet jeder andere gewöhnlich Akkorde und rhythmische Elemente für Übergänge, werden hier einzelne Spuren akzentuiert und nie unnötig eingesetzt. Elegy for an Empty Coffin ist ein gutes Beispiel der konstruktiven minimalistischen Komposition, die Alves hervorstechen lässt: Alves‘ mit Close-Mic Technik aufgenommene Stimme stapelt sich, wie man es sonst von Billie Eilish kennt; Fußstapfen verschmelzen mit seichten, melancholischen Jazzakkorden auf dem Klavier, jede Phrase dabei wie ein Atemzug.

Nach dem vollkommen stillen Buffer Breather mutet Death mysteriös an und beendet den Lebenszyklus, der so expressiv innerhalb 33 Minuten mit dem PC und einer Stimme emuliert wurde. Engelsgleiche Gesänge und wabernde Bässe tragen den Zuhörer hier so gelassen in die Tiefe, dass sich Sterben plötzlich gar nicht mehr so schlecht anfühlt. Das Zwitschern der Vögel. Das Echo des Waldes. Das Rauschen des Windes…

Could Divine ist als Gesamtkunstwerk ein ätherisches Ölbad, das von Geburt bis Tod reicht, und bei jedem erneuten Hördurchlauf diesen Lebenszyklus gefühlt fragiler vertont. Für kalte Winterabende, einen Thriller, oder einfach komplettes Hörvergnügen – die abstrakte Songwriting Kunst und DIY-Klangästhetik von Ana Rita de Melo Alves ist besonders für meditative Musikhörer näher ans Herz zu legen. Dafür, dass sämtliche Instrumente und Sounds digital zusammengeschnipselt wurden, fühlt sich dieses Debüt wirklich echt an, und hinkt nur am depressiven Stimmungsfaktor, der die Platte ein wenig unhörbarer macht. Falls anrimeal es nun schafft, ihre Radiohead-artigen Fähigkeiten in strukturiertere Rahmen zu pferchen, muss Björk sich keine Sorgen um ihr musikalisches Erbe machen.

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Label: Crossness Records
VÖ: 20.11.2020

Genre: Folk, Ambience, Experimental

Vergleichbar:
Radiohead – A Moon Shaped Pool
Björk – Utopia

Wertung:
12/15