Eine Geschichte über persönliches Wachstum und innerliches Aufblühen – mit diesen Worten lässt sich Billie Marten’s drittes Studioalbum sowohl auf lyrischer als auch auf musikalischer Ebene wunderbar beschreiben. Die junge Engländerin liefert mit Flora Fauna einen Tonträger, der von einer deutlichen Weiterentwicklung zeugt, gleichzeitig aber ganz und gar nach ihr klingt – und ganz nebenbei noch den perfekten Soundtrack für laue Sommerabende im Grünen.
Drei Studioalben vor dem 22. Geburtstag veröffentlichen – das soll Billie Marten erstmal jemand nachmachen! Ihr gefeiertes Debütalbum Writing Of Blues And Yellows veröffentlichte die britische Songwriterin mit nur 17 Jahren im Jahr 2016. Hierauf folgte 2019 Feeding Seahorses By Hand. Beide Alben zeichneten sich besonders durch die prägnante Mischung aus Martens sanftem und oft vorsichtig wirkendem Gesang und zurückhaltenden, folkigen Klängen.
Auf ihrem dritten Studioalbum scheint es nun, als wäre Billie Marten – und somit auch ihr Sound und ihre Lyrics – ein Stück erwachsener geworden. Ausschlaggebend hierfür war vor allem eine persönliche Entwicklung, die die Engländerin in den vergangenen Jahren durchgemacht hat: Sie habe ihre Schüchternheit beim Songwriting abgelegt, wie sie sagt, und sich getraut, mehr denn je sie selbst zu sein. Hierzu gehörte es auch, sich selbst so anzunehmen, wie man ist und weniger auf die Erwartungen anderer (auch in Bezug auf ihre musikalische Karriere) zu geben. Am Ende dieser Entwicklungsphase stand für Marten ein neues Gefühl der Unabhängigkeit, wie sie viele junge Menschen in den (frühen) Zwanzigern fühlen. Den Weg dorthin verhandelt sie auf Flora Fauna: „Es war eine etwas unruhige Zeit”, reflektiert Billie Marten. „In all diesen Songs geht es darum, mich selbst aus diesem Loch herauszuholen“.
Auf Flora Fauna werden neben persönlichen Themen (wie beispielsweise dem eigenen Körperbild) vermehrt soziale Themen behandelt. So geht es in der Lead-Single Garden Of Eden beispielsweise um die von Überlastung und Burnout geprägte Leistungsgesellschaft. In Human Replacement besingt Marten das große Gefühl der Unsicherheit, dem sich Frauen* gegenübersehen, wenn sie sich nachts durch den öffentlichen Raum bewegen: „You’re just not safe in the evening, walking around, you could be taken“. Zu diesem Song hat die Wahl-Londonerin jüngst ein eindrucksvolles Musikvideo veröffentlicht: Hierin werden weiblich gelesene Personen gezeigt, die in militärischen Uniformen und Schusswesten durch London laufen. Auch Billie Marten selbst ist zu sehen, wie sie in einem Panzer durch die Londoner Nacht fährt, um sich Milch beim Supermarkt zu kaufen – eine Metapher dafür, welche Vorsichtsmaßnahmen Frauen* in vielen Fällen ergreifen müssen, um sich bei Nacht frei bewegen zu können.
Fun Fact zum Videodreh: Hierfür ist Marten tatsächlich um 3 Uhr nachts mit einem Panzer durch London gerollt, wie sie auf Instagram schreibt: „The best part of all this was, whilst riding around central London in this mack off safety tank at 3am, not a woman was to be seen anywhere, ONLY shifty men snooping around, and they ALL were single-handedly shook”. Well done, Billie!
Flora Fauna ist ein Album, das sich deutlich von den früheren Veröffentlichungen von Billie Marten unterscheidet, gleichzeitig aber noch immer ganz und gar nach ihr selbst klingt. Das liegt vor allem am klar im Vordergrund stehenden, butterweichen Gesang, der die Hörer*innen wie auf Wolken durch das Album trägt. Untermalt wird dieser durch vielseitige und (besonders im Vergleich zu den vergangenen beiden Alben) experimentierfreudige Arrangements: So überzeugt Walnut mit einer Mischung aus rhythmischem, fast militärisch klingender Snare Drum, Creature Of Mine durch tragende Trompetenklänge und Garden Of Eden mit einer eingängigen, für das Album sehr charakteristischen Baseline. Für Flora Fauna hat Billie Marten kurzerhand ihre Gitarre gegen den Bass getauscht. Dieses Instrument hatte sie sich, wie Gigwise schreibt, als „drunk purchase“ gekauft, ohne es überhaupt spielen zu können. Aber was soll man sagen: Das hat sich definitiv gelohnt, denn besonders die prägnanten Bässe heben das gesamte Album auf ein neues Level.
Label: Virgin Records
VÖ: 21.05.2021Genre: Folkpop, Dream-Pop, Alternative
Vergleichbar:
Sharon van Etten – Remind Me Tomorrow
Phoebe Bridgers – PunisherWertung:
12/15