Mit einer Jubelschreie auslösenden Setlist haben die veröffentlichungsfreudigen Australier endlich ihr Konzert in der hessischen Landeshauptstadt nachgeholt, das sie eigentlich bereits 2020 spielen wollten.
Aus heutiger Sicht kann man fast froh sein, dass daraus nichts wurde, denn sonst wäre die heutige Setlist so nicht zustande gekommen, da zehn der 16 Songs erst seit der Pandemie erschienen sind. Und auch der Support wäre ziemlich sicher ein anderer gewesen, denn ihr Debütalbum Let The Festivities Begin! haben Los Bitchos erst im vergangenen Jahr veröffentlicht. Die aus Schweden, Peru, der Türkei und Kolumbien stammende und in London gegründete Band beginnt früher als eigentlich kommuniziert, ihr instrumentaler Cumbia (folkloristisches Musikgenre und Tanz aus Kolumbien) überzeugt live und glücklicherweise auch das Publikum auf ganzer Linie. Damit sich auch alle 2.200 Menschen im ausverkauften Schlachthof wohl fühlen, wird seitens King Gizzard während der folgenden Umbaupause recht lang die Nachricht auf die auf der Bühne hängende Leinwand projiziert, dass sich auch im Moshpit alle benehmen sollen und dieser ein Ort für alle Menschen sei, egal ob jung, alt, groß, klein oder welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühlt. Das Publikum ist dabei tatsächlich so vielfältig, wie es diese Botschaft vermuten lässt und vereint Studierende, Berufstätige, Familien mit Kindern, die Generationen Y und Z als auch ältere Altersklassen.
Die staunen nicht schlecht, als King Gizzard um 21 Uhr mit dem Infest The Rats‘ Nest-Stampfer Mars For The Rich eröffnen. Mit Predator X vom im vergangenen Jahr erschienenen Doppelalbum Omnium Gatherum geht es thrashig weiter, ehe mit Gila Monster ein noch unveröffentlichter Song folgt. Der könnte sich auf dem nächsten – wie die Band auf Instagram verkündet hat – bereits fertiggestellten Album wiederfinden und geht ebenfalls als Thrash Metal durch, womit er sich sowohl auf Infest The Rats‘ Nest als auch dem kunterbunten Omnium Gatherum gut gemacht hätte. Davon folgt mit The Grim Reaper anschließend ein weiteres Highlight, für das Sänger und Gitarrist Stu Mackenzie zur Querflöte greift, während Multiinstrumentalist Ambrose Kenny-Smith das Mikrofon übernimmt und rappend über die Bühne stolziert. Auch Gitarrist Joey Walker legt für den Song seine Gitarre nieder und tüftelt stattdessen an einer Beatmaschine. So auch im folgenden Shanghai vom Dream-/Synth-Pop-Album Butterfly 3000, dem das Sextett anschließend live einen Remix spendiert, der mit einem pluckernden Beat von Walker aus dem traumwandlerischen Original eine flotte Neuinterpretation macht. Der erste längere Jam-Moment des Abends zeigt zudem auf, dass bei King Gizzard auf der Bühne untereinander entspannte Proberaumatmosphäre herrscht, die Mackenzie bis auf Ansagen zum Konzertbeginn und -ende nur aufbricht, um sich bei Los Bitchos zu bedanken und als ein herrenloser Schuh gefunden wird.
Weiter geht es nach der ausgedehnten Version von Shanghai mit den mikrotonalen Psychrock-Brechern Pleura und Minimum Brain Size von den Geschwisteralben L.W. und K.G., zu denen die Gitarren-Gesang-Doppelspitze Mackenzie und Walker wieder zu ihren Gitarren greift, während sich ein gewaltiger Moshpit auftut. Den mikrotonalen Exkurs beendet anschließend Doom City von Flying Microtonal Banana, das zudem zwischen Doom-Zeitlupe und treibenden Parts changiert. Es ist beeindruckend, wie wuchtig King Gizzard auch dank einer weiteren Gitarre von Multiinstrumentalist Cook Craig live klingen. Die Band aus Melbourne klingt live nicht nur wie auf ihren Platten, sondern sogar nochmal besser. Dies untermauert auch The Bitter Boogie mit einem ausgedehnten Jam-Part in der zweiten Songhälfte. King Gizzard ziehen den Song zu einem etwas zu langen Live-Monster auf, das sie immer wieder anschwellen und abebben lassen und bei dem Kenny-Smith teilweise in Sekunden zwischen Mundharmonika und Saxophon wechselt. Auch Wah Wah vom Loop-Album Nonagon Infinity fahren King Gizzard immer wieder hoch und runter, sodass sich der Moshpit teilweise innerhalb kürzester Zeit entzündet.
Überhaupt zeigt sich das Publikum so euphorisch wie bei nur wenigen Konzerten. Es wird angesichts der Songauswahl gejubelt, teilweise stark gemosht, ausgelassen getanzt und immer wieder lassen sich Crowdsurfer Richtung Bühne tragen. Nach dem ebenfalls von Nonagon Infinity stammenden Road Train und dem heute ältesten Song, It’s Got Old von Oddments (2014), leitet das 15-minütige Hypertension von Laminated Denim (2022) den finalen und ausschließlich aus 2022 veröffentlichten Songs bestehenden Konzertabschnitt ein. Der Song ist live deutlich brachialer als auf Platte, was sich auch auf Mackenzie zu übertragen scheint, der seine Gitarre wie besessen abwechselnd hinter seinen Rücken und vor seine Füße schwingt – während er sie spielt. Nach dem zehnminütigen Ice V stimmt Kenny-Smith das 18-minütige The Dripping Tap an, bei dem sich King Gizzard ein letztes Mal in einen Rausch spielen, während vor der Bühne nochmal kollektive Ekstase herrscht. 23 in elf Jahren veröffentlichten Alben in einem Konzertrahmen gerecht zu werden, würde für die meisten Bands ein unmögliches Unterfangen darstellen. King Gizzard werden ihrem Schaffen jedoch gerecht, indem sie auf ihrer Europatour jeden Abend eine andere Setlist spielen, die sie teilweise im Vergleich zur vorherigen Show – so geschehen in Wiesbaden – komplett austauschen. Dass die Songauswahl dann auch noch alle erkundeten Genres abdeckt, versteht sich bei dieser Ausnahmeband fast von selbst.