Review: Boygenius – The Record

The Record löst das Versprechen ein, das Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus mit ihrer Debüt-EP Boygenius Ende 2018 gegeben haben.

Die sechs Songs waren ein eindrucksvolles Statement der drei Singer/Songwriterinnen und vereinten das Beste ihrer jeweiligen Stile. Gleichzeitig machte die EP aufgrund ihrer begrenzten Länge hungrig auf mehr. Seitdem sind die Drei mit ihren jüngsten Soloalben als einzelne Künstlerinnen enorm gereift, was man dem schlicht betitelten Debütalbum ihrer Supergroup anhört und -merkt. Baker hatte auf ihrem dritten Album Little Oblivions (2021) ihre Verletzlichkeit erstmals in einen Bandsound übertragen, während Dacus ihren indierockigen Sound auf ihrem dritten Album Home Video (ebenfalls 2021) um ruhige Singer/Songwriter-Töne und Synthie-Klänge erweitert hatte. Bridgers spielt seit dem gemeinsam mit Bright-Eyes-Frontmann Conor Oberst veröffentlichten Better Oblivion Community Center (2019) und insbesondere ihrem zweiten Album Punisher (2020) sowieso in einer eigenen Liga. Punisher ist es auch, dass die Entstehung von The Record einleitet. Eine Woche nach dessen Erscheinen schickt Bridgers eine Demo von Emily I’m Sorry an Baker und Dacus mit der Frage, ob sie wieder eine Band sein wollen. Die Antwort ist bekannt. Baker erstellt einen Google-Drive-Ordner, in dem das Trio Songideen hochlädt, bis es nach den ersten Pandemie-Lockerungen ab April 2021 schließlich zusammen an dem Album arbeiten kann und dieses im Januar 2022 im Shangri-La-Studio im kalifornischen Malibu aufnimmt.

The Record setzt mit Without You Without Them genau dort an, wo Boygenius mit Ketchum, ID geendet hatte. Das A-Cappella-Intro hatte Dacus jahrelang beim Abwasch vor sich her gesungen und stellt mit seinem im Zentrum stehenden mehrstimmigen Gesang die drei Stimmen der Musikerinnen und Protagonistinnen der Platte vor. Das von Baker geschriebene $20 eröffnet mit einem grungigen Gitarrenriff, ehe sich ihre Stimme im Stil von Little Oblivions an den rockigen Bandsound anschmiegt. In der Bridge des Songs sind schließlich auch Dacus und Bridgers nacheinander zu hören, ehe das Trio im fast schon post-rockigen Finale gleichberechtigt zu hören ist. Mit Emily I’m Sorry folgt der von Bridgers geschriebene Song, der The Record angestoßen hat, und mit der Untermalung einer ruhigen Akustikgitarre einen klassischen Phoebe-Bridgers-Song darstellt, jedoch mit deutlich herauszuhörendem Hintergrundgesang von Baker und Dacus. Der zurückgelehnte Indierock von True Blue geht wiederum auf Dacus zurück, während Baker und Bridgers den Song im Hintergrund mit ihrem Gesang veredeln. Während diese ersten vier Songs der Platte also jeweils einer der Drei zuzuordnen ist, hat das Trio an den weiteren acht Songs als Band gearbeitet.

Im lediglich von einer Akustikgitarre begleiteten Cool About It übernehmen Baker, Dacus und Bridgers nacheinander jeweils eine der Strophen und auch die Ohrwurm-Single Not Strong Enough teilen sich Boygenius fair auf. Absoluter Höhepunkt ist hier die von Dacus angestimmte und schließlich gemeinsam gesungene Bridge, die sich herausragend in den Refrain zurück steigert. Das wunderschöne Revolution 0 ist hingegen in erster Linie ein Bridgers-Song, bei dem die Stimmen von Baker und Dacus leise durch den Refrain wehen, ehe sich das Trio am Ende abwechselt, bevor es den Song gemeinsam mit Streichern ins Ziel trägt. Das ausschließlich von Dacus gesungene Leonard Cohen handelt von einer Autofahrt der Drei, bei der Bridgers ihren Kolleginnen einen zehnminütigen Song von Iron & Wine gezeigt hat, aufgrund der Ablenkung falsch abgebogen ist und sich die Reisedauer dadurch um eine Stunde verlängert hat. Im rockigen Satanist teilen Boygenius die Strophen hingegen wieder auf, während das von Baker geschriebene Riff immer wieder dazwischen grätscht. Die enthält sich im von Dacus wundervoll gesungenen We’re In Love komplett. Die von der Liebe der Musikerinnen zueinander handelnde Akustikballade bekommt am Ende nicht nur Unterstützung von Bridgers, sondern zuvor auch von Piano und Streichern. Das pulsierende Anti-Curse schwingt sich mit anschwellender Stimme von Baker noch einmal auf, während das mit einem Klavier verzehrte und von Bridgers gesungene Letter To An Old Poet die Platte balladesk beschließt.

The Record ist das Gemeinschaftsalbum geworden, welches das die drei Hände der Musikerinnen zeigende Albumcover hat vermuten lassen. Innerhalb der zwölf Songs verschmelzen die emotionale Intensität von Baker, die Fragilität von Bridgers und die umarmende Wärme von Dacus in einem Sound, der zwischen balladesk und rockig changiert und alle Facetten der bisher erkundeten Sounds des Trios einfängt. Bis auf die abwechselnd gesungenen Cool About It, Not Strong Enough und Satanist klingen die Songs jedoch auch stark nach dem, was die Soloalben der Drei bislang ausgezeichnet hat, verfeinert durch den Hintergrundgesang der jeweils anderen Beiden. Etwas mehr von der Sorte jener Songs hätte aus einem sehr guten Album ein Meisterwerk gemacht. Die hohen Erwartungen übertrifft The Record aber allemal.

Label: Interscope
VÖ: 31.03.2023

Genre: Singer/Songwriter, Indierock, Folk

Vergleichbar:
Better Oblivion Community Center – Better Oblivion Community Center
Case/Lang/Veirs – Case/Lang/Veirs

Wertung:
13/15