Konzertbericht: Fjørt + Shitney Beers, Köln Gloria, 05.02.2023

Nichts war 2022 unser Album des Jahres. Diese Wahl untermauern Fjørt mit der dazugehörigen Tour, auf der sie nicht mehr nur kleine Clubs füllen, sondern erstmals die Grenze von 1.000 Besucher*innen knacken.

1.100 Menschen strömen zwei Tage zuvor in die damit fast ausverkaufte Hamburger Fabrik, 900 machen zum Abschluss der zweieinhalbwöchigen Rutsche das Kölner Gloria voll. Das war der Band aus Aachen bereits Ende August gelungen, als sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in der Hanse- sowie der Domstadt all ihre bis dahin erschienenen Alben – die Debüt-EP Demontage (2012), das Debütalbum D’Accord (2014) sowie Kontakt (2016) und Couleur (2017) – in voller Länge in jeweils vier verschiedenen Veranstaltungsstätten auf die Bühne brachte, in Köln mit dem krönenden Abschluss im ausverkauften Gloria. Dass die ein paar hundert Menschen fassenden Clubs für Fjørt mittlerweile zu klein geworden sind, ist nicht nur das Ergebnis intensiver Touren und großartiger Alben, sondern auch kathartischer Konzerte. Immer wieder kommentieren Konzertbesucher*innen der aktuellen Tour unter den Instagram-Posts der Band zu den einzelnen Shows, wie gut der Besuch einer Fjørt-Show ihnen getan habe.

Reinigende Wirkung hat der Auftritt im Gloria auch für Support-Act Maxi Haug alias Shitney Beers. Die aus Kanada stammende Wahlhamburgerin habe nach eigener Aussage einen schlechten Tag hinter sich, im Anschluss an ihre 30-minütige Show bedankt sie sich beim Publikum dafür, ihr den Tag gerettet zu haben. Zuvor spielt sie nur mit ihrer Gitarre bewaffnet Songs ihrer beiden Alben Welcome To Miami (2021) und This Is Pop (2022) – Letzteres ist wie alle Fjørt-Platten seit Kontakt beim Grand Hotel van Cleef erschienen. Ihre Songs sind größtenteils voller zärtlicher Melancholie, hin und wieder kippt ihre Gitarre aber in rockigeres Geschrammel über. Die Singer/Songwriterin zeigt sich in ihren Ansagen zudem sehr direkt und kündigt etwa „einen Song übers Furzen“ an, nur um dann in dessen Verlauf ins Mikrofon zu rülpsen. Shitney Beerskann aber auch sanft sein, etwa wenn sie die Mitglieder von Fjørt mit Komplimenten überschüttet.

Sanft ist definitiv kein Attribut, mit dem man den Sound von Fjørt beschreiben würde und es scheint, als würde das Trio dies mit dem ersten Song der Setlist nochmal verdeutlichen wollen. Schrot ist einer der punkigsten Songs der Post-Hardcore-Band, der einen nach einem stottrigen Start mit einer monumentalen Soundwand überrollt. Zuvor baut sich jedoch ordentlich Spannung auf, wenn als Intro die Zeilen „Was mir immer noch zeigt wir ändern uns/ Was mir immer noch zeigt/ Wir verändern uns“ mehrfach wiederholt werden und Fjørt schließlich im Blitzlichtgewitter die Bühne betreten, bevor sich die Anspannung unmittelbar im ersten Moshpit des Abends entlädt. Auch Fjørt brauchen keine Anlaufzeit: während Bassist David Frings direkt in bekannter Manier über die Bühne huscht und die Texte mit Gesten untermauert, erklimmt Gitarrist Chris Hell noch im ersten Song den Riser von Schlagzeuger Frank Schophaus. Um ihre Kritik am Umgang der Menschheit mit der Umwelt hervorzuheben, wiederholt Frings die zitierte Zeile am Songende noch einmal, ehe seine Band noch einmal mit dem wüsten Riff einsteigt.

Weiter geht es mit dem Couleur-Opener Südwärts, dessen einleitende Zeile „Rückwärts war nie vorgesehen“ komplett das Publikum übernimmt, das den Moshpit nun noch einmal vergrößert. Nach einem anschließenden kurzen instrumentalen Gewitter wenden sich Fjørt erstmals ans Publikum. Während andere Bands an dieser Stelle nur kurz darum bitten würden, aufeinander Acht zu geben, betont Hell nicht nur, dass Übergriffe jeglicher Form hier nichts verloren haben, sondern nennt auch mögliche Anlaufstellen in der Crew seiner Band beim Namen. So schafft man Safe Spaces. Mit Anthrazit und Magnifique folgen zwei alte Songs, ehe Kolt an fünfter Stelle für den ersten Gänsehautfaktor sorgt, jedoch der unangenehmen Art. Der Song reflektiert, was es bedeutet, Teil einer Überflussgesellschaft zu sein, während in anderen Teilen der Welt Krieg herrscht, Geflüchtete ertrinken oder Menschen für ihre Meinungen eingesperrt werden. Es ist beachtlich, wie textsicher sich das Publikum zeigt, ist der Song doch nicht als Single, sondern erst im November zeitgleich mit Nichts erschienen. Auch wenn es sich komisch anfühlt, die aus der Perspektive von Frings geschriebenen Zeilen „Ich tue gar nichts/ Weil es gemütlich ist, hier bei uns/ Tue gar nichts/ Und bin gnadenlos informiert/ Fick dich, David“ ihm entgegenzubrüllen, kathartisch ist es allemal.

Das gilt auch für das folgende, gegen Nazis gerichtete Paroli, bei dem Frings besonders energisch gestikuliert und zu dem gleich zweimal lautstark der Pit geöffnet wird. Mit Lod folgt anschließend ein heftiges Post-Metal-Gewitter und es ist kaum zu glauben, dass dafür nur drei Musiker und deren Effektpedale verantwortlich sind. Bei den neuen Songs Bonheur und Fernost singt die Menge ebenfalls lautstark mit, ehe sich Frings für das zahlreiche Erscheinen bedankt, was zu Sprechchören führt und bei Frings Fassungslosigkeit auslöst. „Wir haben vor zehn Jahren in einem vier Quadratmeter großen Raum im Musikbunker Aachen angefangen uns anzuschreien weil da irgendwas raus musste“, sagt Hell nach den folgenden Windschief und Mitnichten und vergleicht seine Band mit Blumen, die ansonsten eingegangen wären. Mit Couleur folgt anschließend Fjørts Manifest für Meinungsfreiheit, dessen erste Zeilen Frings mit solch einer Intensität ins Mikro schreit, dass man kurz denkt, er würde jeden Moment zusammenbrechen. Tut er zum Glück nicht, sodass nach Valhalla mit Sfspc, Lichterloh und Lebewohl noch drei Zugaben folgen, an deren Ende Frings noch einmal das Wort ans Publikum richtet, den Werdegang seiner Band von den kleinsten Club-Konzerten bis ins nun zum zweiten Mal ausverkaufte Gloria reflektiert und einen flammenden Appell für kleine Bands und Konzerte hält. Fjørt haben verstanden, dass die beste Haltung ohne Taten nichts wert ist. Auch deshalb gehören sie nicht erst seit Nichts zu den aktuell besten deutschen Bands.

© Fotos von Valentin Krach