Konzertbericht: Electric Callboy + Blind Channel + Future Palace, Frankfurt Festhalle, 21.04.2023

Mit Tekkno, ihrem ersten Album seit Abstreifen des alten Bandnamens, haben Electric Callboy den Sprung von einer größeren Szene-Band zu einem Act für die Massen geschafft. Das verdeutlicht nicht nur der erste Platz in den deutschen Albumcharts, sondern auch die aktuelle Tour zum Album, welche die Band in die größten deutschen Konzerthallen führt, die sie größtenteils ausverkaufen.

So auch die Frankfurter Festhalle mit 10.000 Feierwütigen, die man teilweise schon weit vor der Halle an ihren bunten Sportlerjacken, Vokuhila-Perücken, schnellen Brillen und Stirnbändern erkennt. Verkleidete Konzertbesucher*innen sind jedoch deutlich in der Minderheit eines bunt durchmischten und keiner festen Szene zugehörigen Publikums. Die Experimentierfreude der Band aus Castrop-Rauxel mit Genres wie elektronischer Tanzmusik und HipHop spiegelt sich also auch zunehmend in ihrem Anhang wider. Der darf sich heute auf zwei Vorgruppen freuen und zumindest bei Future Palace dürfte die Freude auch nach dem Auftritt noch anhalten. Das Trio aus Berlin hat im vergangenen Jahr mit seinem zweiten Album Run viel Anklang gefunden, der durch die Tour mit Electric Callboy mit großer Sicherheit noch weiter zunehmen wird. Die Post-Hardcore-Band spielt im Vergleich zum Headliner des Abends zwar deutlich seichteren Rock, der bricht aber immer wieder in härtere Gefilde aus, ebenso der Klargesang von Frontfrau Maria Lessing. Die animiert das Publikum immer wieder zur Bewegung und beim finalen Paradise wird ihre Forderung zur Wall of Death sogar umgesetzt. Vorher gibt es mit Heads Up zudem einen richtigen Ohrwurm. Auch wenn der Sound nicht immer gut austariert ist, überzeugen Future Palace dennoch auf ganzer Linie.

Das trifft auf Blind Channel hingegen nicht zu. Während das Sextett zum Johnny-Cash-Evergreen Ring Of Fire vielversprechend die Bühne betritt, stellt sich bereits zum ersten Song Alive Or Only Burning Ernüchterung ein. Der Nu Metal der Finnen klingt nicht nur aus der Zeit gefallen, immer wieder verderben unpassend wirkende elektronische Sounds und nicht überzeugend performte Rap-Passagen den immer wieder von Playbacks bestimmten Brei. Die Band hat ihr Heimatland 2021 beim Eurovision Song Contest vertreten und es scheint, als wäre ihr dieser Achtungserfolg zu Kopf gestiegen. Blind Channel nehmen sich nicht nur zu ernst, am Ende ihres Auftritts äußern sie zudem die unangenehme Bitte, man solle ihnen auf Instagram folgen, denn in fünf Jahren würden sie selbst als Headliner in der Festhalle auftreten. Ein Ziel, das definitiv erreicht werden kann, wenn die besten Momente der Show auf die Musik anderer Künstler*innen zurückzuführen sind, die Blind Channel ungelenk in den eigenen Kosmos überführen: so stimmen die Frontmänner Joel Hokka und Niko Vilhelm Moilanen nicht nur Last Resort von Papa Roach kurz an, es folgt auch ein Cover vom Anastacia-Hit Left Outside Alone und zu Everybody von den Backstreet Boys verlassen die selbsternannten „Backstreet Boys der Metal Szene“ die Bühne. Danach lässt sich festhalten, dass die ursprünglich auch für die finalen Konzerte der Tour als Support angekündigten Holding Absence die deutlich bessere Wahl gewesen wären.

Der Unmut über diesen Auftritt hält allerdings nicht lange an, denn anschließend dröhnen zahlreiche Hits aus allen möglichen Genres aus den Lautsprechern der Festhalle, um das Publikum bestmöglich für den Auftritt von Electric Callboy aufzuwärmen. Um 21 Uhr meldet sich schließlich eine weibliche KI auf den LED-Leinwänden und fordert die Menge dazu auf, heute ihre besten Tanzbewegungen zu zeigen. Die erste Gelegenheit bietet sich beim eröffnenden Tekkno Train, zu dem erstmals Konfetti durch die Halle geschossen wird. Während zu Beginn vornehmlich Livebilder von der Bühne und aus dem Publikum auf die LED-Leinwände übertragen werden, wechseln sich diese ab dem zweiten Song MC Thunder II (Dancing Like a Ninja) mit Videoanimationen ab. Erstmals werden zudem die Flammenprojektoren auf der Bühne bedient, ehe zum Breakdown Luftschlangen in die Luft geschossen werden. Und dann bildet sich auch noch eine Wall of Death, während sich der Moshpit auch erstmals über den ersten Wellenbrecher hinaus formiert. Mit The Scene und Supernova folgen an vierter und sechster Stelle die ersten älteren Songs, die noch mit Sebastian „Sushi“ Biesler und nicht mit dem 2020 an die Seite von Kevin Ratajczak gestoßenen Nico Sallach entstanden waren. Dazwischen spielen Electric Callboy das mit YouTuber Kalle Koschinsky veröffentlichte und inhaltlich äußerst flache Castrop X Spandau, das die Energie in der Halle aber auf einen vorläufigen Höhepunkt schraubt.

Immer wieder wenden sich die Frontmänner Ratajczak und Sallach an das Publikum und beziehen dies in ihren Auftritt mit ein. Sei es mit einer selbstironischen Bandvorstellung („Zeig mal, dass die Gitarre auch wirklich funktioniert“), dem Adressieren der in der Musik der Band vereinten Zielgruppen oder einer Dankesrede für die Crew. Das ist einerseits stets unterhaltsam, andererseits ziehen die beiden die ansonsten sehr gut durchgetaktete Show dadurch künstlich in die Länge. So auch kurz vor Beginn des finalen Konzertabschnitts, als ein rotes Klavier auf die Bühne gefahren wird. Während sich Ratajczak an den Flügel setzt, legt sich Sallach auf diesen, ehe sich das Duo einander die Liebe erklärt. Danach kehrt Gitarrist Daniel Haniß mit einem Saxofon zurück auf die Bühne und stimmt Careless Whisper an, während das Publikum die Halle mit zahlreichen Handylichtern erleuchtet. In diesem Ambiente spielt das Trio noch verkürzte Versionen von Let It Go – nun mit Akustikgitarre – When You Say Nothing At All und I Want It That Way. Mit der Musik von Electric Callboy hat das überhaupt nichts zu tun, es ist dennoch bemerkenswert, dass das Sextett einfach durchzieht, worauf es Bock hat – und dadurch, seinem einer Frischzellenkur unterzogenen Trancecore, durch zahlreiche während der Lockdowns veröffentlichter Vlogs sowie jeder Menge witziger Musikvideos seit der Umbesetzung zu Beginn der Pandemie seine Fanbasis exorbitant vergrößern konnte.

Ihre massenhaft geklickten Musikvideos würdigen Electric Callboy heute Abend, indem sie etwa mit den Vokuhila-Perücken aus Hypa Hypa, der Sportlerkleidung aus Pump It und den Topfschnittperücken aus We Got The Moves die jeweiligen Songs performen. Für Fuckboi holt die Band noch einmal Maria Lessing von Future Palace auf die Bühne, während in der zweiten Hälfte von Best Day das Frankfurter Rap-Duo Mehnersmoos die Bühne betritt und die Bands zusammen deren Gerstensaft-Hymne Bir anstimmen. In der Bridge von Arrow Of Love regnet es wiederum Konfettiherzen, wohingegen zahlreiche andere Songs mit Feuerfontänen oder Pyrotechnik aufgewertet werden, teils auch mit beidem gleichzeitig. In der Konzertmitte spielt Schlagzeuger David Friedrich zum Darude-Internet-Meme-Song Sandstorm ein starkes Solo, während das finale Geknüppel des als Schlagersong beginnenden Hurrikan mit höllischen Videoanimationen untermalt wird. Das aus Parasite, MC Thunder, Pump It, Spaceman und We Got the Moves bestehende Finale sorgt noch einmal für kollektive Ekstase, ehe nach 105 Minuten der finale Vorhang fällt. Ganz egal wie man zur Musik der Band steht, ihren neuen Status als Festival-Headliner haben Electric Callboy mit dieser Show allemal bestätigt.

© Fotos von Valentin Krach