Rise Of The Northstar – Showdown (Label: Atomic Fire/ADA/VÖ: 07.04.)
Der von Shōnen-Mangas inspirierte Crossover von Rise Of The Northstar klingt auch auf ihrem dritten Album noch einzigartig und rechtfertigt die fünf Jahre lange Wartezeit seit dem Vorgänger. Die beliebteste Gattung japanischer Comics, deren Zielgruppe insbesondere männliche Jugendliche sind, beeinflusst die Band aus Paris sowohl in ihrem Auftreten als auch in ihren von Referenzen gespickten Texten. Manga-Fans können darin viel entdecken, allen anderen bleibt die Melange aus Thrash Metal, 90er-Jahre-HipHop und New York Hardcore, die auch Showdown zu einem starken Album macht. Konnte man die Metal-Schlagseite des zweiten Albums The Legacy Of Shi aufgrund der Produktion von Gojira-Frontmann Joe Duplantier bei ihren Landsmännern verorten, erinnern die Riffs der tief gestimmten Gitarren auf dem Nachfolger eher an Slipknot. Markenzeichen des Quintetts ist weiterhin die Vermischung englischer, japanischer und französischer Texte. Das von Gangshouts angereicherte Crank It Up ist hingegen lupenreiner US-Hardcore. Ein weiteres Highlight ist One Love mit seinem teilweise gejodelten Refrain, ehe der Breakdown von einem japanischen Ausruf eingeleitet wird. Clan wird von einem ruhigen Gitarrenriff angestimmt, das in der Bridge in ein großartiges Gitarrensolo übergeht, während Golden Arrow aus mehreren kürzeren Soli besteht, seinen Refrain aber mindestens zweimal zu oft wiederholt. Der ganz große Wurf ist Showdown zwar nicht, eine Machtdemonstration aber allemal.
Metallica – 72 Seasons (Label: Blackened/Universal/VÖ: 14.04.)
72 Seasons ist mit 77 Minuten Laufzeit exakt so lang wie der 2016 veröffentlichte Vorgänger Hardwired… To Self-Destruct, der ebenfalls aus zwölf Songs bestand. 40 Jahre nach Erscheinen ihres Debütalbums Kill ’Em All sucht man auf dem elften Album der Thrash-Metal-Giganten Balladen oder proggige Songpassagen nahezu vergebens. Stattdessen ergötzt sich das Quartett in jedem der Dutzend Songs in einer Riff-Orgie, für die man in der Albummitte etwas Sitzfleisch benötigt. Dass Metallica nichts an Härte eingebüßt haben, beweist direkt der eröffnende Titeltrack, den Lars Ulrich zunächst mit flotter Hi-Hat nach vorne treibt, ehe der Song nach einer Minute losmarschiert. Inzwischen messerscharfer Riffs platzieren Metallica einen starken Refrain, der trotz der musikalischen Härte im Ohr bleibt. Das ist auch der Produktion von Gred Fidelman, James Hetfield und Ulrich zu verdanken. 72 Seasons klingt für ein Thrash-Metal-Album ungewohnt sauber, ohne soft zu sein, und ist in den Refrains trotz wuchtiger instrumentaler Passagen immer wieder zugänglich. Das liegt auch an Hetfield, der stimmlich lange nicht so gut geklungen hat. Shadows Follow ist ein melodischer Stampfer, der nach dem Gitarrensolo in der Bridge erstmals ordentlich scheppert. In Screaming Suicide ist wiederum eines der besten Gitarrenriffs der ganzen Platte der Star des Songs. Das weniger eingängige Sleepwalk My Life Away und der Midtempo-Kopfnicker You Must Burn! sind zwar ebenfalls gelungen, reichen aber nicht an die starken ersten drei Songs heran. Mit dem punkigen Lux Æterna beweisen Metallica anschließend, dass sie auch noch Songs unter vier Minuten schreiben können. Im düsteren Chasing Light heißt es zu Beginn „There’s no light“ und das folgende Zeitlupenriff klingt dementsprechend, als hätte es bislang noch kein Tageslicht gesehen. Überhaupt ist 72 Seasons lyrisch immer wieder bedrückend, wenn Hetfield von Niederschlägen, aber auch vom Wiederaufstehen singt. Auch If Darkness Had A Son klingt wuchtig und düster, während Hetfield und Kirk Hammett in Room Of Mirrors zu Doppel-Lead-Gitarren ansetzen, die nicht von dieser Welt sind. Und dann, wenn man eigentlich nicht mehr damit gerechnet hätte, fahren Metallica im elfminütigen Closer Inamorata den Song in der Mitte kurz herunter und bauen ihn mit einem proggigen Zwischenspiel wieder auf, bevor Hetfield und Hammett ihre Gitarren ein letztes Mal zusammen jubilieren lassen und den Song auch so ins Ziel tragen. 42 Jahre nach ihrer Gründung haben Metallica nichts an Groove, Wucht und Eingängigkeit eingebüßt.
Blond – Perlen (Label: Beton Klunker Tonträger/VÖ: 21.04.)
Wie auf dem Debütalbum Martini Sprite (2020) werden die zehn Songs von Perlen von einem Intro und einem Outro zusammengehalten. Die bestehen dieses Mal aus Fangesängen, die Blond zunächst anpeitschen (Intro) und schließlich die erschlossene Gemeinschaft feiern (Outro). Dazwischen liefert das Chemnitzer Trio zehn starke Gründe, zum Blondinator zu werden. Durch die Nacht referenziert zu zurückgelehntem Indierock Wir sind Helden und LaFee und begreift, dass nur dann mehr weibliche Künstler*innen nachrücken, wenn diese auch die Bühne bekommen, die sie verdienen und so überhaupt erst Vorbilder entstehen können. In Männer holen Blond die Berliner Rapperin addeN dazu und kritisieren die fehlende Diversität bei großen deutschen Festivals, während sie It’s Raining Men von den Weather Girls zitieren. Du und Ich zieht das Tempo anschließend an und entsagt sich ebenso wie Toxic übergriffiger als auch toxischer Männer. Mein Boy rechnet wiederum mit alten weißen Männern ab, die junge Frauen gewissermaßen therapieren wollen und denken, sie könnten alle Probleme lösen und Feminismus dabei missverstehen. Im ermächtigenden Ich sage ja zerschlagen Blond gemeinsam mit den ebenfalls aus Chemnitz stammenden Power Plush das Bild des braven und hübschen Mädchens und erkennen, dass Nettigkeit und Höflichkeit nicht zu gesellschaftlichen Veränderungen führen. Ihren tollen Humor zeigt die Band wiederum in Du musst dich nicht schämen, in dem sie das Hören ihrer Musik mit dem sexuellen Erwachen eines Mannes im Teenageralter vergleichen. Im ebenfalls humorvollen Oberkörperfrei zeigen sich Blond zu einem Beat mit Hip-Hop-Einlagen hingegen von einer ganz neuen Seite und nehmen dabei alle Fleischesser aufs Korn. Sims 3 und Immer lustig thematisieren zu ruhigen Instrumentals Antriebslosigkeit, Einsamkeit und Depressionen, die auch Künstler*innen trotz gefeierter Konzerte einholen können. Perlen ist ein starkes zweites Album, weil Blond nicht nur gekonnt den Finger in mehrere Wunden halten, sondern sich auch verletzlich zeigen.
Electric Enemy – Electric Enemy (Label: Circular Wave/Tonpool/Zebralution/VÖ: 21.04.)
Jim Lawton versucht gar nicht zu verstecken, dass er großer Queens-Of-The-Stone-Age-Fan ist. Das macht sein Debütalbum als Electric Enemy so gut.Der in London lebende Multiinstrumentalist hat die Platte geschrieben, aufgenommen und zusammen mit Sam Miller (Razorlight), Grammy-Preisträger Adrian Bushby (Muse, Foo Fighters) und Pete Hutchings (Royal Blood) produziert, während ihn befreundete Musiker*innen an Schlagzeug, Bass und Gitarre unterstützt haben. Das Ergebnis ist ein energiegeladenes Album voller nach vorne preschender Gitarrenriffs. Etwa gleich zu Beginn in Therapy, das mit Metal-Schlagseite immer wieder ausbricht, dabei aber noch etwas monoton klingt. Besser funktioniert Bleed Me Dry, in dem Lawton erstmals mit Kopfstimme singt, was an Nothing But Thieves erinnern lässt, während der Song mit einem mächtigen Riff ins Ziel marschiert. Burn ist mit Mönchschören und leichtem HipHop-Vibe etwas zu überladen, wohingegen All For You mit seinem ruhigen Intro aus Gitarre und Gesang an die Foo Fighters erinnert. Take The Wheel besticht durch Royal-Blood-Groove und der lässige Refrain könnte wie bei zahlreichen anderen Songs auch aus der Feder von Josh Homme stammen. Do It Again interpretiert Alternative Rock maximal poppig und das treibende Circles kommt bereits in 75 Sekunden ins Ziel. Die abschließende Klavierballade Lost Where You Were wird wie so viele Songs von Lawtons souliger Stimme veredelt. Auch deswegen ist Electric Enemy ein starkes Debüt.
Enter Shikari – A Kiss For The Whole World (Label: So/Rough Trade/VÖ: 21.04.)
Auf ihrem siebten, ausschließlich mit Solarenergie aufgenommenen Album machen Enter Shikari nicht viel anders als auf dem großartigen Vorgänger Nothing Is True & Everything Is Possible. Darauf hatten die britischen Alternative Rocker zwischen Raverock und Pop alle Facetten ihres Sounds bedient, gleichzeitig war ihr sechstes Album ein von der Klimakrise beeinflusster Abgesang auf die Menschheit. Diesem Stil bleiben Enter Shikari treu, gleichzeitig stärkt A Kiss For The Whole World nach zweijährigem Pandemie-Stillstand den Zusammenhalt, ohne ganz so poppig wie sein Vorgänger auszufallen. Pop-Momente gibt es aber trotzdem, wie das weird gesungene Goldfish. Leap Into The Lightning ist hingegen mitreißender Trancepop, dessen eingängiger Refrain von krachenden Gitarren kontrastiert wird und wie ein EDM-Drop aufgebaut wird, ehe in der Bridge kurz ruhige Streicher übernehmen. Der von Fanfaren eröffnete und optimistische Titeltrack lebt ebenfalls vom Kontrast der ruhigen Strophen und des mit metallischen Gitarren nach vorne marschierenden Refrains. Das als Streicherballade beginnende Dead Wood schwingt sich wiederum in seiner zweiten Hälfte hymnisch auf. Jailbreak ist im Refrain auf Krawall gebürsteter Raverock mit Herz („I hope I keep hope intact”) und für Bloodshot haben sich Enter Shikari eindeutig von The Prodigy inspirieren lassen. In dessen nachfolgender Coda ertönt der Orchestersound des Vorgängeralbums. An das reicht A Kiss For The Whole World als bislang kürzestes Enter-Shikari-Album trotz vieler starker Songs aber nicht ganz heran.
Crown The Empire – Dogma (Label: Rise/BMG/Ada/Warner/VÖ: 28.04.)
Crown The Empire gehören zu den unterbewertetsten Metalcore-Bands der 2010er-Jahre. Ihr erstes Album in dieser Dekade bietet alles, was die Band bislang ausgemacht hat.Black Sheep ist zum Beispiel ein Song, den man angehenden Bands in der Szene zur Veranschaulichung zeigen könnte. Treibende, geschriene Strophen gehen in einen gesungenen Ohrwurm-Refrain über, der sich in der Bridge in einen satt gerifften Breakdown hineinsteigert, ehe der Song von einem Gitarrensolo abgeschlossen wird. Das ist zwar Songwriting nach Schema F, schreit aber trotzdem aus jeder Pore „Hit!“ Modified reduziert den gutturalen Gesang anschließend deutlich und erinnert mit seinem dramatischen Refrain und der ruhigen Bridge an The Plot In You. Im von übernatürlichen Erfahrungen von Frontmann Andy Leo handelnden In Another Life singt wiederum Spiritbox-Sängerin Courtney LaPlante zuerst engelsgleich mit, ehe sie den Breakdown mit diabolischem Geschrei einleitet. Das poppige Superstar mit einem Gastbeitrag von Palaye-Royale-Frontmann Remington Leith winkt Post Malone zu und funktioniert, weil sich das Quartett aus Texas diesem Sound voll hingibt und die Lyrics über das Leben in L.A. ein düsteres Bild zeichnen. Im brutalen Dancing With The Dead verzichten Crown The Empire zum ersten Mal überhaupt auf Klargesang und Immortalize und Someone Else sind zwei Post-Hardcore-Ohrwürmer, auch dank des markanten Gesangs von Leo. Ausfälle sucht man auf diesem fünften Album vergebens.