Konzertbericht: Sleep Token, Wien Gasometer, 31.07.2023

Wenige Monate nach ihrem internationalen Durchbruch mit Take Me Back To Eden machen die maskierten Briten von Sleep Token nicht nur auf einigen Sommerfestivals halt, sondern auch in ausgewählten europäischen Städten. So auch in Wien. Wir waren für euch vor Ort und haben einige Eindrücke gesammelt.

Wer vor ein paar Monaten als TikTok-unversierter Fan Tickets für Sleep Token kaufen wollte, staunte nicht schlecht: alle Karten für die Wiener Simm City, immerhin mit einer Kapazität von 800 Stehplätzen, waren in nicht einmal zwei Stunden vergriffen. Kein Wunder also, dass das Konzert ohne großes Zögern in das mehr als vier mal so große Gasometer verlegt wurde, denn dort hielten sich die Tickets immerhin einige Wochen, bevor ein erneuter Verkaufsstopp verhängt wurde. Beste Voraussetzungen also für ein mehr als gut besuchtes „Ritual“, wie die Band ihre Liveshows in stets wortkargen Social-Media-Posts selbst würdigt. Keine Vorband wurde im Vorfeld verkündet, sicherlich zum Erstaunen einiger – jenseits der Klippen von Dover gibt es immerhin die Noise-Rocker Health als Vorprogramm auf die Ohren – stehen auch keine anderen Musiker*innen auf dem Timetable. Die ersten Töne, die durch den alten Gasbehälter der Simmeringer Gaswerke hallen, sind also gleich ein düster-spirituell anmutendes Synthesizer-Intro vom Tonband, zu welchem die Bühne allerdings noch leer bleibt. Während das Publikum schon bei Sichtung eines Bühnentechnikers frenetisch klatscht – schließlich ist dieser in schwarz gekleidet und sieht Sänger Vessel so zum Verwechseln ähnlich – muss es noch einige Minuten warten, bis tatsächlich alle Bandmitglieder*innen auf der Bühne sind.

Zu Chokehold ist es dann ebenjener Frontmann und – glaubt man der selbsterzählten Geschichte der Band – Sprachrohr des Gottes „Sleep“, der zunächst die ersten Takte des Songs allein in Akustik-Manier am E-Piano performt. Nach und nach kommen dann auch die anderen Musiker*innen auf die Bühne. Abgesehen von II, III und IV an Drums, Gitarre und Bass sind dies auch 3 Background-Sänger*innen, welche sich die ganze Show nicht einen Zentimeter rühren, falls nicht gerade die gesamte Band geschlossen die Bühne verlässt. Der zweite Song ist der vom Publikum wohl am meisten erwartete Titel The Summoning, zu welchem sich auch erstmals Bewegung zu Füßen von Vessel verzeichnet. Bemerkenswert ist hier zu erwähnen, dass nicht nur dieser Song, sondern kein einziger des Abends mit einer Wortmeldung angekündigt wird. Stattdessen gibt es in diesem Fall gar keinen Taktschlag zwischen den Songs und in anderen Fällen knapp eine Minute Verschnaufpause, was der Ritualatmosphäre tatsächlich Authentizität verleiht. Es folgen die zwei in ihrer Gangart ebenfalls deutlich härteren Titel Hypnosis und Vore, während sich der anfänglich sehr blechern klingende Sound langsam normalisiert. Like That hingegen bietet sowohl auf der Bühne als auch im Publikum Kontrast, denn die ruhigen Klänge lassen sowohl den auf der Bühne durchaus mobilen Vessel als auch das Publikum etwas in Trance versinken. Aus dieser Ruhe kommt letztgenanntes leider auch nicht beim ältesten Song des Abends Nazareth heraus, dessen erst gefühlsgeladener und dann brachialer Breakdown mehr als genug Anlass dazu geben sollte, wild um sich herumzufuchteln. Erst recht dann, wenn der Song so gut vorgetragen wird wie im Wiener Gasometer.

Nach einem kurzen instrumentalen Intermezzo wird von der komplett verhüllten Bühnenbesatzung weiter das neuste Album bespielt, Granite und Aqua Regia finden sowohl in der stehenden Menge als auch auf der Galerie Anklang. Die entstehende Publikumsreaktion ist jedoch kein Vergleich zu der, die beim This Place Will Become Your Tomb-Opener Atlantic aufkommt, bei welchem nach einem Piano-Intro zurecht viele Emotionen ausgeschüttet werden. Auch hier zeigt sich wieder, dass das Konzept der Band am besten funktioniert, wenn zunächst ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt wird und man anschließend jegliche Emotionen im Pit auslassen kann. Einen Hauch von Publikumsinteraktion gibt es dann zu Beginn von Alkaline, als Bassist III mit seiner freien Hand einen Circlepit einfordert, welchen er auch bekommt. Dieser Trend führt sich sogar während The Love You Want fort, denn nachdem Vessel den eher balladesken Song vollendet, lässt er sich ein Fingerherz in Richtung Menge entlocken. Nach einer kurzen Unterbrechung folgen die letzten zwei Songs der regulären Setlist, der erste davon ist das stimmungsgeladene Rain, welches unerwarteterweise unter den Songs des neusten Albums besonders hervorsticht. Vorerst als Abschluss fungiert Higher vom ersten Album Sundowning, das an dieser Stelle des Konzertablaufs hervorragend funktioniert, auch weil Vessel den Breakdown mit mehreren „Bleghs“ im Stile Sam Carters stilisiert. Zugaberufe gibt es wenige, das würde auch nicht zur Atmosphäre passen, doch auch Pfeifen, Kreischen und Klatschen genügen um das Quartett mit seinen Backgroundgesangsensemble nochmals auf die Bühne zu locken. The Night Does Not Belong To God und The Offering bedürfen natürlich auch keiner Ankündigung, denn die beiden Klassiker sprechen für sich selbst und beenden eine durch die Bank gelungene Messe im 11. Wiener Gemeindebezirk.

© Fotos von Adamross Williams