Review: Kadavar – Rough Times

,,Habt ihr Bock auf’n bisschen Rock’n’Roll?“ Diesen Satz kennt jeder, der schonmal in den Genuss einer Kadavar-Show gekommen ist. Die urigen Berliner wuchten ihren harten Sound seit 2010 über die Bühnen der ganzen Welt und auch wir konnten uns letztes Jahr schon davon beeindrucken lassen. Letzte Woche erschien das neue Album „Rough Times“. Ob man beim Hören raue Zeiten durchleben muss und in welche Richtung sich die Band musikalisch entwickelt hat, erfahrt ihr selbstverständlich bei uns.

Immerhin ein rauer Klang setzt direkt mit dem ersten Song ein, denn „Rough Times“ überfährt den Hörer mit einer Wand aus Sound. Inmitten des zerrenden Basses, der sägenden Gitarre und den pulsierenden Drums schneidet sich Christoph ,,Lupus“ Lindemann mit einer hohen, laut sirrenden Sologitarre den Weg durch die Wellen. Die Strophe lockert die Wucht des Refrains straight und harmonisch auf und treibt das Stück weiter an. Mit brachialer Gewalt und verdrehten Vocals groovt die Bridge daher und nötigt zum headbangen. Dem nicht genug legen die Berliner in „Into The Wormhole“ sodann noch eine ordentliche Schippe heavyness drauf. Das prägnante Riff klingt, als ob Bassist Simon ‘Dragon’ Bouteloup mit voller Kraft in die Saiten schlägt und diese gegen den Korpus prallen. Etwas überraschend, aber nicht weniger passend, ertönt darauf ein fast schon poppiger Refrain mit xylophonähnlichen Tönen und markantem Gesang. Ähnlich brutal setzt auch der nächste Song namens ,,Skeleton Blues“ ein: dreckig, straight, fies und durch verdrehte Gesangs- und Solo-Parts schön verspult.

Kadavar - Rough Times - Artwork Rasant geht es mit ,,Die Baby Die“ weiter. Die erste Single-Auskopplung des neuen Albums zieht mit schnellen Rhythmen und Gitarrenläufen die Spannung vom ersten Takt an wieder nach oben. Drummer Christoph ‘Tiger’ Bartelt macht seinem Spitznamen alle Ehre und treibt, flink wie eine Raubkatze, den Herzschlag des Tracks voran. Mit orientalisch anmutenden Klängen in der ruhigen Bridge geben die Musiker dem Hörer noch eine kurze Verschnaufpause, bevor das Solo und der letzte Chorus zum Endspurt übergehen. Durch Tempo und Eingängigkeit eine gute Wahl für die erste Single. “Vampires” startet, ganz dem Titel entsprechend, düster und geheimnisvoll, bricht aber nach kurzer Zeit mit der ruhigen Atmosphäre. Durch den Wechsel von späten 60er-Sounds und eher zeitgenössischen Rock-Parts wird die musikalische Bandbreite der Platte ausgeweitet. So gestaltet sich der folgende Track „Tribulation Nation“ ähnlich stimmungsvoll. Mit monotoner Rhythmik und mysteriösen Soundeffekten wird der Hörer in überirdische Sphären befördert, bis er durch „Words Of Evil“ wieder auf die Straße zurück geholt wird. Diese Nummer klingt nämlich nach einem späten 70er-Hard-Rock-Highway-Soundtrack und jagt von Anfang bis Ende mit Vollgas durch die Lautsprecher.

,,The Lost Child“ kommt nach dem letzten Titel genau richtig: von den heißen US-Highways geht die Reise jetzt gemächlich einen vietnamesischen Fluss entlang – hätten Kadavar diesen Song schon vor 38 Jahren veröffentlicht, Francis Ford Coppola hätte ihn ganz sicher für sein Meisterwerk „Apocalypse Now“ verwendet. Denn ganz im Stil von The Doors breitet sich eine melancholische Orgelmelodie im Intro aus, ehe eine röhrende Gitarre explosionsartig die Stille sprengt. Gekonnt vermengen die drei Berliner vertraute Klänge der Hippie-Ära mit harten Rock-Riffs, bevor ein Akustikgitarren-Outro samt Pfeifmelodie den Track irgendwo zwischen Italo-Western und Surf-Sound beendet. Gemächlich kommt auch „You Found The Best in Me“ daher, dessen Gitarren das gleiche Stimmgerät gesehen haben müssen, wie es die von Hendrix taten. Dennoch kann die entspannte Darbietung begeistern. Durch einen leichten Crosby, Stills, Nash & Young-Touch ist das Stück eher untypisch für das Trio, fügt sicher aber sauber in den restlichen Sound der Platte ein. Den Abschluss und die künstlerische Krönung des Albums stellt wohl der letzte Track ,,A L’Ombre Du Temps“ dar. Hierbei handelt es sich weniger um ein Lied, als um ein avantgardistisches Gedicht, wie es schon Serge Gainsbourg auf seinem Album „Histoire de Melody Nelson“ vorgetragen hat. Auch die aktuellen Pressefotos der Band erinnern im Übrigen an das Cover dieses Albums. Begleitet von atmosphärischen Flötenklängen und Soundeffekten, haucht eine Stimme sanft französisches, bis die Platte mit klirrendem Hall und lauten Schritten endet.

„Rough Times“ haben die Proto-Metaller von Kadavar ihren neuen Longplayer getauft. So „rough“ ist das Album bisweilen aber gar nicht. Vielmehr beeindrucken die drei Berliner mit einer abwechslungsreichen, komplexen Arbeit, bei der etliche musikalische Einflüsse der jeweiligen Musiker verarbeitet wurden: von Doom-Metal über späten 70er Hard-Rock, bis hin zu Folk- oder Avant-Rock. All das versehen mit dem kernigen Kadavar-Sound, macht „Rough Times“ zu einer sehr eigenständig klingenden Platte, die nur dürftig in Genre-Klischees eingeordnet werden kann. Fans von experimentellem, brachialem Hard-Rock sollten sich „Rough Times“ deshalb nicht entgehen lassen!