Da Blood Youth bereits um 19:30 Uhr statt 20 Uhr den Konzertabend eröffnet hatten, wird es an dieser Stelle leider keinen Bericht über die Hardcore-Band geben, die zu den vielversprechendsten Newcomern der Szene gehören.
Nach dem britischen Trio fiel die sehr gut gefüllte Kölner Essigfabrik in die Hände des verbliebenen Pop-Punk-Trios. Den Anfang machten As It Is, die optisch zwischen One Direction und misshandelten Kindern Kurt Cobains schwanken. Musikalisch gestaltet sich dies ähnlich. Trotz der immens hohen Bewegung auf der Bühne blieb Sänger Patty Walters nie die Stimme weg, was man so nicht von jeder Band aus dem Genre erwarten kann. Eine Stimme hätte er teilweise jedoch gar nicht gebraucht – das überwiegend junge Publikum zeigte sich bei den Briten schon sehr textsicher.
Dies änderte sich auch bei Real Friends nicht. Die Musik auch nicht. Die US-Amerikaner machten genau dort weiter, wo As It Is aufgehört hatten: Pop-Punk, der geradezu nach einer großen Familienpizza verlangte. Sänger Dan Lambton zeigte sich jedoch bei seinen Ansagen etwas ernster als sein Vorgänger. “Unsere Fans werden immer jünger und wir Erwachsenen müssen uns bewusst sein, dass wir ihnen zeigen müssen, wie sie mit der Welt und ihrem Umfeld umgehen müssen“. Dies gehörte zu den ernsteren Momenten des Abends. Zu diesen gehörten auch die Ansagen eines Crewmitglieds des späteren Headliners. Dieses wies vor den Auftritten aller Bands auf die Organisation Hope For The Day hin, die unter dem Motto “It’s Ok Not To Be Ok“ allen psychisch labilen Personen Mut macht und diese auf dem Weg der Besserung unterstützt.
Nach weit über zwei Stunden musikalischer Unterhaltung betrat endlich die Band die Bühne, auf die alle gewartet hatten: Neck Deep! Was sich bei den Vorgruppen bereits ankündigte, wurde nun Realität: Die komplette Essigfabrik sprang wie ein einziger großer Flummi zum Opener “Happy Judgement Day“ umher und überbot Frontmann Ben Barlow lautstärkenmäßig um Längen – was nicht bedeutet, dass Barlow einen schlechten Job machte. Ganz im Gegenteil. In der knapp 75 Minuten langen Show spielten sich die Briten durch ihren kompletten Bandkatalog. Ihr Durchbruchsalbum “Life’s Not Out To Get You“ und das im August erschienene “The Peace And The Panic“ wurden gleichermaßen mit sieben Songs ins Set integriert. Das 2014 veröffentlichte “Rain In July/A History Of Bad Decisions“ stellte mit “What Did You Expect?“, “A Part Of Me“ und “Head To The Ground“ immerhin drei Songs des Sets. Egal aus welchem Jahr die Band einen Song spielte, das Publikum kannte ihn von vorne bis hinten auswendig. Die Crowd dürfte nicht nur bei den Pop-Punks für stundenlange Gänsehaut gesorgt haben.
Neck Deep spielten jedoch nicht nur ihr Set herunter, aus der Ballade “December“ mixten sie einen klassischen Pop-Punk-Song, während “Head To The Ground“ und “Wish You Were Here“ für emotionale Momente sorgten. Während Ben Barlow den erst genannten Song alleine mit einer Akustikballade spielte, bekam er beim zweit genannten Track Unterstützung von Bassist Fil Thorpe-Evans. Die beiden widmeten den Song ihren verstorbenen Vätern. Aus diesem emotionalen Loch konnte sich das Quintett mit “A Part Of Me“ nicht befreien. Dafür jedoch mit den Zugaben “Can’t Kick Up The Roots“ und “Where Do We Go When We Go“, die die vorherigen Gefühle im Handumdrehen vergessen ließen und ein letztes Mal für wild umherspringende Menschen sorgten, bevor Neck Deep ihre bis dato größte Deutschland-Show beendeten.
An diesem Abend stimmte einfach alles. Das geschnürte Bandpaket, der Sound als auch die Stimmung. Sogar die Security zeigte sich nach dem Skandal in Nottingham zuschauerfreundlich. Die Durchhalteparolen, die Neck Deep in ihren Lyrics unterbringen, entfalten sich erst voll, wenn sie inbrünstig von leidenschaftlichen Kehlen mitgebrüllt werden. Und davon gab es in der Essigfabrik so einige.
© Fotos von Valentin Krach