Livereview: OPEN OHR FESTIVAL, 2.06.-5.06.17

An der Zitadelle in Mainz findet jedes Jahr an Pfingsten das OPEN OHR FESTIVAL
statt. Das nicht-kommerzielle Event gehört zu den ältesten Festivals des Landes und besticht durch eine einmalige Atmosphäre. Jedes Jahr wird ein Thema ausgewählt, welches über das Wochenende diskutiert wird. Dieses OHR wurde zum Thema „Wegwerfware Mensch“ erörtert und den Besuchern die Möglichkeit gegeben, sich zu informieren. Wir waren für euch dabei, um von den vier Tagen voller Musik und netten Menschen zu berichten.

Das OHR beginnt für viele Besucher schon am Freitag Vormittag. Die ersten Zelte werden im abgezäunten Stadtpark aufgespannt und die ungewöhnlichsten Wohnmobile reisen an. Die Stimmung ist jetzt schon ausgelassen und alle freuen sich auf das bevorstehende Festivalwochenende!

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Die Frankfurter C-Types waren die diesjährigen Opener des Festivals und standen am frühen Freitagabend auf der Hauptbühne. Sie sind wahre Entertainer, da sie die Meute nicht nur mit ihrem dadaistischen Trash-Punk zum tanzen animierten, sondern auch durch ihre optische Erscheinung Aufsehen erregten. Die Bandmitglieder spielten maskiert auf der Bühne und das Ganze war zugleich gaga und unterhaltsam. Hier deutete sich bereits an, was die Bands auf dem OPEN OHR FESTIVAL alle vereinte: Die Künstler sind nicht nur einem einzigen Genre zuzuordnen, sondern kreieren einzigartige Sounds.

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Eine unserer musikalischen Lieblinge war Findlay, eine junge englische Songwriterin mit starker Band. Von der ersten Sekunde an hatte sie das Publikum auf ihrer Seite. Ihre Songs sind etwas zwischen Rock, Pop und Alternative und deutlich hört man den Einfluss der Strokes auf ihren Stil. Findlay ist frech, cool, verführerisch und schien auf der Bühne zuhause zu sein. „I’m just a girl with a microphone!“, hat Natalie Rose Findlay (ihr voller Name) der Masse entgegen gesungen. Zu den wilden Klängen tanzte das Publikum gerne und ausgiebig. Wir sind gespannt, denn von dieser Londoner Band werden wir noch viel hören!

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Die nächste Band, die als Überraschungsgäste/ Ersatz für die
Steaming Satellites auftraten, haben uns ebenfalls sehr begeistert.
Die fünf Jungs von Giant Rooks kommen aus NRW und stecken sich selbst in das Genre „Art-pop“ und klingen, als müssten sie eigentlich aus der Indiehochburg Groß Britannien kommen. Viele ihrer Songs haben auch folkige Einflüsse und sind ideal zum entspannten Tanzen. Der Vergleich zu Bands wie Alt-J und Arcade Fire scheint passend. Den Kick gibt die Stimme von Sänger Frederik, die mal rau und mal glasklar ist. Giant Rooks beenden den ersten Festivaltag und haben ihn noch besser gemacht!

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Am nächsten Tag brachten uns Tanga Elektra zum swingen. Ungewöhnlich ist nicht nur der Bandname, sondern auch die Zusammensetzung. Das Konzept von zwei Brüdern an Geige, Gesang, Schlagzeug und Looppedal funktionierte unheimlich gut. Musikalisch bewegte sich das Duo zwischen Soul und Electro und brachte die Besucher zum hüpfen und sogar die sitzende Bevölkerung auf der Wiese musste unweigerlich mit dem Kopf nicken.

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Elektronisch ging es weiter mit The Correspondents aus London. Mit fast unmenschlicher Geschwindigkeit und Ausdauer tanzte und sprang Sänger Mr.Bruce im hautengen Anzug über die Hauptbühne, während Bandkollege DJ Chucks am Mischpult werkelte. Auch ihre Musik ist ein Mischmasch aus einigen Genres, darunter Electro und Drum’n’Bass. Die Show katapultierte die Zuhörer aber auch zurück in die Achtziger, verfeinert wurde das Ganze durch ironische Texte. Generell verschwammen die einzelnen Songs aber, da sie einander stark ähnelten. Die eineinhalb Stunden Energie und Entertainment kamen bei der Masse dennoch sehr gut an und einige beneideten den Frontsänger lautstark um seine Sportlichkeit.

Kapelle Petra ist in der Region um Mainz den meisten Freunden von kleinen Festivals bekannt. Die Band überzeugt nicht (nur) durch musikalische Virtuosität, sondern durch ihre Sympathie und scharfsinnig bis idiotischen Texte. Denn wie kann man eine Band nicht cool finden, deren Schlagzeuger Ficken Schmidt heißt und zu deren Besetzung Gazelle gehört, der weder ein Instrument spielt, noch singt? Zu Besuch war auf der Bühne auch der Sänger von Elfmorgen für ein paar Lieder. Kapelle Petra waren auch einer der wenigen deutschsprachigen Acts dieses OHRs und machten sich in ihren Texten vor allem über sich selbst lustig. Definitiv sind sie aber auch musikalisch nicht zu unterschätzen!

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Am Sonntagabend ging es etwas härter zu mit Adam Angst, einer deutschsprachige Punkband. Felix Schönfuss, der Gründer und Sänger der Band verarbeitet so ziemlich alles, was ihn wütend macht an der Welt in seinen Songs und scheut sich nicht, über die unangenehmen Themen zu reden. Musik auf Konfrontationskurs passt auf jeden Fall in die Idee des Festivals. Das diesjährige Motto „Wegwerfware Mensch“ wurde gewählt, um sich mit einer aktuellen Problematik des Planeten auseinander zu setzen. Adam Angst schaffen es, sozialkritische Themen in Songs wie „Wir werden alle sterben“ zu verpacken. Lyrisch treffen sie mitten ins Schwarze, da sie nicht nur in Hau-drauf-Manier anklagen, sondern durch ironische Texte Aufmerksamkeit erregen. Auch brachten sie die Meute vor der Bühne zum springen und pogen. Einer der wenigen Moshpits des Wochenendes wurde zu ihrer Musik eröffnet.

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Der letzten Festivaltag, Montag, ließ das OHR ausklingen. Auf Schnipo Schranke hatten wir uns wirklich gefreut und extra früh vor der Bühne platziert. Ziemlich enttäuscht hat uns das weibliche Duo aus Hamburg mit ihrem Indiepop. Auf den Veröffentlichungen der Band steht, wie auch live, der Text im Vordergrund. Und Stellenweise war dieser witzig und überzeugend, aber oft nur extrem unappetitlich. Mit Zeilen wie „Jetzt tut es mir Leid, ich warf dich in’s Klosett. Gute Reise kleine Tamponade!“ wurde das Publikum irritiert. Generell können Oden an Hygieneartikel ja unterhaltsam sein und für Abwechslung sorgen, doch leider nicht bei Schnipo Schranke. Die Beiden schienen ihre übermäßige Unverklemmtheit in jedem Song aufs Neue demonstrieren zu müssen. Die Stimme von Daniele Reis tut der Performance auch nicht gut. Sie wirkte verkrampft und presste die einzelnen Worte nur so heraus.

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Auch eines unserer Highlights heißt Les Yeux d’la Tête. Die französische Band trat als letzter Act des Tages auf und lockte noch mal alle Besucher zum tanzen und mitsingen.
Die sechs Pariser bewegten sich leichtfüßig auf der Bühne und kamen mit ihrer Musik, einer Mischung aus Folk, Chanson, Rock, Walzer und irendetwas zu dem eine Hochzeit auf dem Balkan veranstaltet werden könnte, mehr als gut an. Auch sie geben ihrer Musik eine politische Note und sangen Songs an die „Liberté“. Les Yeux d’la Tête waren charmant, humorvoll und immer sehr französisch.

Am Montag Abend war das diesjährige OPEN OHR FESTIVAL dann leider auch schon wieder vorbei. Danke, dass wir dabei sein und mit vielen offenen und freundlichen Menschen barfuß auf Wiesen tanzen durften. Das Festival ist ein Ort an dem sich Hippies und Punker treffen (obwohl es deutlich mehr von ersteren gibt) und Jugendliche und Familien mit Kindern auf dem Zeltplatz Nachbarn sind. Besonders war auch das Angebot, das nicht nur mit Podiumsdiskussionen und Vorträgen gespickt ist, sondern auch mit Workshops und Kabaretbeiträgen. Schön war’s! Bis nächstes Jahr!

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