Review: Touché Amoré – Lament

Vier Jahre nach ihrem alles verändernden Meisterwerk Stage Four veröffentlichen Touché Amoré das lange erwartete fünfte Album Lament. Darauf gibt es im Gegensatz zum Vorgänger kein zentrales lyrisches Thema und für die Zusammenarbeit im Studio hat das US-Quintett einen auf den ersten Blick unpassend wirkenden Produzenten engagiert.

Was kommt nach einem der besten Post-Hardcore-Konzeptalben über den Krebstod der eigenen Mutter? Auf diese Frage hatte Touché-Amoré-Frontmann Jeremy Bolm lange keine Antwort, bis er sich dazu entschlossen hat, kein weiteres Konzeptalbum zu schreiben. Und so thematisiert Lament viele verschiedene Dinge, die Bolm in den vergangenen Jahren beschäftigt haben und über die ein 37-Jähriger eben schreibt, wenn er von Selbstzweifeln geplagt wird. Diese greift Feign am deutlichsten auf („I say the wrong things at the perfect time/ That’s my signature, on the silver line“), während es im indierockigen Titelsong darum geht, seinen Platz in der Welt zu finden und sich auch von verschiedensten Hürden nicht zu Fall bringen zu lassen. Solch eine Hürde stellte die Anstellung von Produzent Ross Robinson für Touché Amoré dar. Bekannt für seine Zusammenarbeit mit Metal-Bands wie Korn, Limp Bizkit oder Slipknot wirkt Robinson auf den ersten Blick nicht wie der bestmögliche Produzent für ein hochemotionales Post-Hardcore-Album. Doch er fordert die Band erfolgreich, an ihr Limit zu gehen.

Ein Ergebnis dessen ist Limelight, einer von vier vorab veröffentlichten Songs und mit etwa fünf Minuten der bislang längste Song in der Geschichte von Touché Amoré. Jeremy Bolms Stimme ist im Mix so weit vorne und so prägnant, dass es markerschütternd ist, wenn er im Refrain mit voller Inbrunst die Zeilen „I’m tired and I’m sore“ schreit. Der Song erinnert am ehesten an Weggefährten wie La Dispute oder Defeater, schwingt sich mit dem fantastischen Gastauftritt von Manchester-Orchestra-Sänger Andy Hull aber zu einem der Highlights auf Lament auf. Dazu zählt auch das ebenfalls vorab veröffentlichte Reminders, in dem die Stimmen von Bolm und Gastsängerin Julien Baker noch harmonischer verschmelzen als auf dem Stage Four-Closer Skyscraper. Dritter und letzter, im Albumkontext aber erster Gast, ist zudem Justice Tripp von Trapped Under Ice im stürmischen Opener Come Heroine. Es scheint, als würden vor allem Hull und Baker Touché Amoré dazu ermutigen, mit den jeweiligen Songs neue Wege zu beschreiten. Während Limelight bislang geltende, zeitliche Restriktionen aufhebt, gehört Reminders zu den eingängigsten Songs, die Touché Amoré bislang geschrieben haben.

Eine weitere Leistung Robinsons ist, wie punkig die Gitarren von Clayton Stevens und Nick Steinhardt auf einem Großteil der Songs klingen und mit welcher Energie diese durch Songs wie eben Come Heroine oder Exit Row pflügen. In Savoring darf Schlagzeuger Elliot Babin sogar Blastbeats auspacken. Touché Amoré sind über die Jahre natürlich zugänglicher geworden, von Sell-Out kann angesichts solcher Momente und der fortwährenden lyrischen Tiefe jedoch keine Rede sein, auch wenn das country-eske A Broadcast daran kratzt. Gelungener fällt dagegen der musikalische und namentliche Zwilling A Forecast aus, der das Album abschließt und zusammen mit I’ll Be Your Host eine lyrische Fortsetzung von Stage Four darstellt. Während Bolm in I’ll Be Your Host damit abschließt, aufgrund der intensiven lyrischen Auseinandersetzung mit dem Tod seiner Mutter gegen seinen Willen für andere Leute zum Traueradressaten geworden zu sein, thematisiert er in A Forecast, wie die Leute aus seinem Umfeld mit seinem Verlust seit dem Erscheinen von Stage Four umgegangen sind: „Since the last time we spoke/ I’ve learned quite a lot/ The people I thought would reach out/ Turns out they would not/ On the anniversaries/ Of the worst kind of days/ My phone was mostly silent”. Wer davon beim ersten Hören nicht ergriffen ist, den hat auch schon Stage Four kalt gelassen. Alle anderen werden neidlos anerkennen, dass Touché Amoré auch ohne ein übergreifendes Konzept ein Album geschaffen haben, dass sie weiterhin zu den ganz Großen im Post-Hardcore zählen lässt.

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Label: Epitaph Records
VÖ: 09.10.2020

Genre: Post-Hardcore, Punkrock, Indierock

Vergleichbar:
Defeater – Defeater
La Dispute – Panorama

Wertung:
13/15