Konzertbericht: While She Sleeps + Bury Tomorrow + Polaris, Köln Palladium, 30.09.2023

Den Zyklus ihres aktuellen Albums Sleeps Society beenden While She Sleeps mit ihrem bislang größten eigenen Deutschlandkonzert im ausverkauften Kölner Palladium.

Eine Woche zuvor hat die Metalcore-Band aus Sheffield bereits das legendäre Alexandra Palace in London mit mehr als 10.000 Besucher*innen ausverkauft. Nach drei freien Tagen ging es für das Quintett in Paris, Brüssel und Tilburg weiter, ehe sie mit dem Konzert in der Domstadt ihre kurze Tour, auf der die Briten ihre bislang größten eigenen Konzerte in den jeweiligen Ländern gespielt haben, schon wieder beenden.

Als Support sind in Köln wie auch in den anderen Städten Bury Tomorrow und die den Abend eröffnenden Polaris dabei. Für das Quartett aus Sydney stellt der Auftritt im Palladium die erste Show in Deutschland seit Erscheinen ihres dritten Albums Fatalism sowie des plötzlichen Todes von Gitarrist Ryan Siew im Juni dar. Siew wird nach dem zweiten Song Inhumane im Publikum mit einer „Ryan Forever“-Flagge gedacht, wofür sich Frontmann Jamie Hails bedankt. Vier Songs später widmet Hails das ebenfalls von Fatalism stammende und mentale Gesundheit thematisierende Overflow seinem „Bruder“. Dessen Nachlass verwaltet Windwaker-Gitarrist Jesse Crofts, was noch einmal verdeutlicht, dass Siews höchst eingängige Gitarrenmelodien zum Besten gehören, was Metalcore in den vergangenen Jahren abgeworfen hat. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markiert eindeutig Fatalism, von dem die Australier auch Nightmare und Dissipate spielen. Vom zweiten Album The Death Of Me spielen Polaris All Of This Is Fleeting und Hypermania, während sie mit The Remedy als einzigem Song vom Debüt The Mortal Coil ihren 30-minütigen Auftritt beenden. Neben den obligatorischen Moshpits illustrieren vor allem die deutlich hörbaren Singalongs, dass Polaris inzwischen längst kein Geheimtipp in der Szene mehr sind.

Für die 2006 gegründeten und seit 2009 Alben veröffentlichenden Bury Tomorrow gilt das sowieso. Spätestens seit dem fünften Album Black Flame (2018) dürfte die Band aus Southampton jedem Fan von metallischen Gitarren, gutturalem Gesang und Mitsing-Refrains ein Begriff sein. Nach dem ebenfalls starken Cannibal (2020) hat Gründungsmitglied, Gitarrist und Klarsänger Jason Cameron jedoch die Band verlassen. Mit Gitarrist Ed Hartwell und Keyboarder und Klarsänger Tom Prendergast ist gleich doppelter Ersatz geholt worden, mit dem auch das siebte und im Frühjahr veröffentlichte Album The Seventh Sun aufgenommen wurde. Das zeigte die Briten generischer als auf den vorherigen beiden Alben und auch live ist das Sextett nun eine leicht andere Band als vor dem Besetzungswechsel. Prendergast ist zwar ein guter Sänger, seine Positionierung auf einem Podest hinter nahezu allen anderen Bandmitgliedern erschwert jedoch seine Interaktion mit dem Publikum und darüber, ob Bury Tomorrow wirklich einen Keyboarder benötigen, lässt sich allemal streiten. Rein musikalisch überzeugt die Band jedoch. Ihr Set eröffnen Bury Tomorrow mit dem knüppelnden Boltcutter, ehe bei Black Flame erstmals lautstark mitgesungen wird. Abandon Us erinnert an Architects und mit Earthbound gibt es auch einen Song für Fans, die schon etwas länger dabei sind. Bei Heretic taucht im Gegensatz zur Albumversion While-She-Sleeps-Frontmann Loz Taylor live leider nicht auf. Darüber tröstet anschließend das ebenfalls von zahlreichen Stimmen getragene Cannibal hinweg und Choke evoziert sogar am äußersten Rand des Palladiums einen Moshpit. Danach erklärt Frontmann Daniel Winter-Bates Polaris und While She Sleeps seine Liebe und hält ein tolles Plädoyer für Offenheit und Toleranz, ehe Bury Tomorrow mit Death (Ever Colder) ihren Auftritt nach 45 Minuten beenden.

Anschließend liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Was haben sich While She Sleeps für ihr bislang größtes eigenes Konzert in Deutschland einfallen lassen? Die erste Antwort ist: ein starkes Bühnenbild. Das bestand bereits in der Vergangenheit aus Lautsprechertürmen mit eingraviertem Bandlogo, für diese Tour haben die Briten dies um zwei riesige, dahinter positionierte Podeste ergänzt, auf denen Schlagzeuger Adam Savage sowie Bassist Aaran McKenzie (zumindest zu Beginn) positioniert sind. Nicht unwahrscheinlich, dass sie sich vom Bühnenbild der ebenfalls aus Sheffield stammenden Bring Me The Horizon inspiriert haben lassen. Während bei der Show in London im Hintergrund über eine große LED-Leinwand Videoanimationen liefen, ist dafür in Köln kein Platz. Die über allem thronenden „Sleeps“ buchstabierenden und Industrial schreienden Metall-Buchstaben runden das Bühnenbild aber auch so stark genug ab.

Seine 18 Songs starke Show eröffnet das Quintett mit Sleeps Society, bei dem sich das Publikum nicht nur bereits lautstark und textsicher zeigt, sondern bereits beim atmosphärischen Intro den Pit öffnet, der sich anschließend in großes Geschubse verwandelt, ehe am Ende des Songs erstmals Feuer aus den zahlreichen Flammenwerfern schießt. Im Verlauf der folgenden 85 Minuten wechseln sich Feuer und Funkenregen an Showelementen ab, bei der ersten Zugabe Enlightenment(?) gibt es sogar beides zu bestaunen. Zu bewundern gibt es zudem eine karriereumspannende Setlist. Vom 2012 erschienenen Debütalbum This Is The Six finden sich darauf mit Our Courage, Our Cancer und Seven Hills sogar gleich zwei Songs wieder. Auch das zweite Album Brainwashed (Four Walls und Our Legacy) sowie das dritte Album You Are We (der Titeltrack und Silence Speaks) sind mit zwei Songs vertreten, während es von So What? vier und vom aktuellen Album Sleeps Society sieben Songs auf die Setlist geschafft haben, zu der auch der neue Song Self Hell gehört. Während Our Courage, Our Cancer vor dieser Tour zuletzt 2019 auf einer Setlist der Band stand, hatten While She Sleeps Our Legacy das letzte Mal sogar 2017 live gespielt. Da lässt sich sogar verschmerzen, dass Fans der ersten Stunde heute vergeblich auf Crows von der dritten-EP The North Stands For Nothing (2010) warten müssen. Etwas verwunderlich ist dagegen, dass While She Sleeps Nervous außen vor lassen.

Doch das ist Meckern auf hohem Niveau, denn als Liveband waren While She Sleeps nie besser. Während die Briten instrumental schon seit Jahren bei Konzerten eine Wucht sind, ist Sänger Loz Taylor endlich seine Stimmprobleme los und hält das Niveau der Platten von Anfang bis Ende. Was die Bühnenenergie angeht, reichen ihm eh nur wenige andere Metalcore-Sänger*innen das Wasser. Bassist Aaran McKenzie sowie die Gitarristen Sean Long und Mat Welsh zeigen sich zudem sehr agil und wechseln mehrfach die jeweiligen Bühnenpositionen untereinander durch. Die Gemeinschaft beschwören While She Sleeps, indem Welsh für Know Your Worth (Somebody) dazu auffordert, dass alle im Publikum ihre Hände über die Schultern einer anderen Person legen, während Taylor zwei Songs später zu Beginn von Four Walls die Leute dazu animiert, andere Menschen auf ihre Schultern zu nehmen. Nachdem Polaris-Frontmann Jamie Hails den Part von Bring-Me-The-Horizon-Sänger Oliver Sykes in Silence Speaks meistert, wird sich zu Systematic kollektiv hingesetzt und aufgesprungen, ehe beim finalen Anti-Social die Mitglieder der anderen Bands sowie von der Crew von While She Sleeps die Bühne stürmen und zum Song tanzen. Nachdem While She Sleeps 2014 als Vorgruppe von In Flames und Papa Roach sowie 2018 als Support für Architects im Palladium aufgetreten waren, haben sie mit einer starken Show eindrucksvoll bewiesen, dass sie mittlerweile zurecht selbst in diesen Größendimensionen unterwegs sind. Nicht auszuschließen, dass sie mit ihrem bereits angekündigten sechsten Album Self Hell als nächste britische Metalcore-Band aus dieser Szene hinauswachsen. Vergönnt wäre es ihnen.

© Fotos von Valentin Krach