Captain Planet – Emo-Schokopralinen

2005 brauchen Captain Planet vier Songs um einen Sound und eine Sprache zu finden, die ihnen auch knapp 20 Jahre später noch gefällt – und der auch auf ihrem fünften Album Come On, Cat nichts an Dringlichkeit verloren hat. Wie es entstanden ist, wie viel Innovation sich die Band (nicht) zutraut und womit sie ihren Alltag füllen würden, gäbe es Captain Planet nicht, erklären Sänger Jan-Arne von Twistern und Gitarrist Benni Sturm im Interview.

„Ich habe das auf jeden Fall immer als Referenz, weil das der rohe Captain-Planet-Sound ist, den wir da gemacht haben. Daran haben wir mit unseren Einstellungen, was die Gitarre betrifft, nicht viel geändert. Ich meine, das ist ja immer noch nur ein Verstärker und eine Gitarre. Wenn man den Sound ändern möchte, dann müsste man sich einen anderen Verstärker besorgen“, erklärt der Sänger den Stellenwert der 2005 erschienenen EP Unterm Pflaster der Strand. Melodisch, aber gehetzt, hymnisch, ohne sich anzubiedern, Herz und Hirn ausschütten, ohne Pathos, so könnte man den Emopunk beschreiben, den das 2003 gegründete Quartett damals wie heute spielt. Wer genauer hinschaut, erkennt Unterschiede zwischen den einzelnen Alben, die für Gitarrist Benni Sturm immer eine Reaktion auf das vorherige darstellen. Wasser kommt, Wasser geht ist das stürmische Debüt, das ohne großes Nachdenken entsteht, Inselwissen der Nachfolger mit dem Hang zu verspielten, cleanen Gitarren, während Treibeis „dicht, grummelig, wie wenn jemand vor einem steht und einen so anboxt mit so kleinen Boxschlägen“ klingt, und Ein Ende als Reaktion einen Gang zurück schaltet. Logisch, dass Come On, Cat, aufgenommen mit Raphael Rasmus in dessen Studio in Offenbach, wieder direkter und dringlicher daherkommt.

So wichtig wie Unterm Pflaster der Strand für Captain Planet ist, so wichtig sind Captain Planet für Menschen, die etwas mit deutschsprachigem Punkrock anfangen können, der auf die Komplexität der Welt mit Metaphern statt mit Slogans antwortet. Trotz der Nähe zu Bands wie Duesenjaeger oder Turbostaat bringt ihnen die Emo-Schlagseite eine Art Sonderstatus ein, vor allem weil sich ähnlich klingende Bands wie Matula oder Katzenstreik mit den Jahren aufgelöst haben. Dementsprechend groß war die Resonanz, als Captain Planet im Juli ein neues Album samt großer Tour ankündigen. Da darf die Frage erlaubt sein: Spielen Erwartung von Außen während des Songwritings eine Rolle? Sturm überlegt, sagt dann: „Bewusst sowas wie: ‚Was will denn die potentielle Hörerin/der potentielle Hörer hören?‘ Das ist Quatsch, das gibt es nicht.“ Vielmehr gehe es darum etwas zu schaffen mit dem alle zufrieden sind, inner- wie außerhalb der Band. „Wir brauchen jetzt keine neue Platte zu machen mit halbgaren Songs, die ganz okay sind. Wenn wir das machen, dann muss das das Beste sein, was wir zu diesem Zeitpunkt machen können. Dieser Ansporn, das passiert in dem Bewusstsein, dass da Leute sind, denen das was bedeutet und die man nicht abfertigen kann mit einem Aufguss, von dem was keiner braucht.“ Dieser Perfektionismus ist neben familiären Verpflichtungen, Brotjobs und der langsamen Arbeitsweise der Band ein Hauptgrund für die sieben Jahre, die zwischen Ein Ende und Come, On Cat liegen. Und das obwohl der erste neue Song circa ein Jahr nach Ein Ende entstanden ist. „Das ist immer ein bisschen wie ein Trichter. Da ist erst mal so viel, und das kommt da so rein, und am Schluss sollen da so sehr schön geformte kleine Schokopralinen rauskommen. Das dauert halt dann einfach eine Weile“. Emo-Schokopralinen, die auf Verzierungen oder Toppings verzichten. Schlagzeug, Bass, zwei bis drei Gitarren. Das war’s. Ein Captain-Planet-Song, eingeleitet von einem Klavierintro, wäre das vorstellbar? Während Sturm sich das gut vorstellen kann („Sowas kann bestimmt passieren“), ist sich von Twistern da nicht so sicher: „Ich glaube, da gibt es schon harte Scheuklappen. Es ist ja nicht so, als ob das mit dem Klavier nicht schonmal auf dem Tisch lag, das ein oder andere Mal. (…) Ich glaube, da sind wir wahnsinnig eingeschränkt, da wird auch nie ein Klavier zu hören sein irgendwie“. „Aber liegt es daran, dass wir sagen: ‚Das ist Quatsch‘? Ich hätte gedacht, dass uns das einfach nicht gefällt“, wirft sein Bandkollege ein.

Durch die unterschiedlichen Wohnorte hat sich die Arbeitsweise der Band verändert, wöchentliches Proben ist nicht mehr möglich, weshalb sie auf eine Online-Plattform zurückgreifen, die Schlagzeuger und hauptberuflicher Programmierer Sebastian „Badda“ Habenicht gebastelt hat, und auf der sie Song-Ideen unterschiedlicher Stadien hochladen und bearbeiten können. Ergänzend dazu finden Proberaum-Sessions statt. Um zu demonstrieren, wie niedrigschwellig Songwriting sein kann, zückt Sturm sein Handy und zeigt ein Video, in dem er zwischen Häuserfassaden und Straßenlaternen steht und die Melodie von Neujahr summt: „Und das habe ich irgendwann aufgenommen und dann setzte ich mich zuhause hin und dann denke ich: ‚Ach das war doch eine gute Hook.‘ So versuche ich, dass das nicht verloren geht. Das dauert manchmal auch Jahre, bis das wieder aufgegriffen wird.“ Einer von diesen schon lange existierenden Songs ist Tuffi, der bereits zu Ein Ende-Zeiten entstanden ist und zu den intensivsten auf Come On, Cat zählt. Tuffi steht exemplarisch für die Fähigkeit von (Haupt-)Texter von Twistern mit Zeilen wie „Das Nest, aus dem wir kommen, kein Ort, an den wir glauben“ individuelles Leiden in ein kollektives zu verwandeln. „Wir sind keine Band, die einen an die Hand nimmt und sagt: ‚Hey, komm, wir gehen jetzt gemeinsam weiter voran, gegen alle Widrigkeiten, wir schaffen das‘. Wenn man so was erwartet, das kriegt man bei uns nicht. Wir sind eher die nachdenklichen Typen, die zurückschauen, was liegt hinter uns, und was schließen wir daraus, als zu sagen: ‚Hey, let‘s go.‘ Wenn man das erwartet von Punkmusik, dann wird man bei uns enttäuscht“, so von Twistern. „Vielleicht können wir da auch gar nicht so viel anders. Wäre vielleicht auch merkwürdig, wenn so ein Captain Planet Album komplett anders klingen würde, oder andere Themen hätte, und plötzlich mordspolitisch, mordspositiv klingen würde, oder voller Liebeslieder wäre.“

Wäre es, auch weil in  Beobachtungen wie „Jeder ist doch einsam irgendwie“ (Am Wald) oder „Diese Stadt ein Kadaver“ (Kadaver) viel mehr Lebensrealität steckt, als ein Liebeslied je erreichen könnte. Verzweiflungslyrik mit hohem Wiedererkennungswert. „Ich mag das bei Autorinnen oder Autoren, die ich schätze, bei denen ich denke: ‚Das ist die gleiche Art und Weise Gedanken oder Wörter zu spinnen‘. Das schätze ich auch bei Arnes Texten; das ist so ein vertrautes Milieu, in dem man sich und Sachen findet. So eine Sprache, eine Art sich auszudrücken, das holt mich ab“, lobt Gitarrist Sturm seinen Bandkollegen. Dabei ist es nicht so, als hätten Captain Planet das mit der Hoffnung nicht probiert. Mit Neujahr und Halley wurden ausgerechnet die beiden Songs vorab veröffentlicht, die am ehesten versuchen dem pessimistischen Grundton etwas entgegenzustellen. „Wir haben uns schon gefragt, ist das vielleicht zu gut gelaunt, um das als Erstes auszukoppeln? Weil die Platte an sich schon deutlich düstere Töne produziert hat. Aber Neujahr vereint vieles von dem Besten, was wir können.“ Halley sehen die beiden weniger hoffnungsvoll, vielmehr funktioniere es nach dem selben Prinzip wie Tuffi. „In Halley steckt die Idee von: „Damit bist du wahrscheinlich nicht allein. Das ist die hoffnungsvolle Komponente dabei, weil natürlich immer das Gefühl am schrecklichsten ist: ‚Das bin nur Ich, das versteht keiner. Damit bin ich ganz alleine.‘ Das ist was anderes als das Gefühl zu haben, ich bin ein Teil von einer Gruppe, und das ist auch scheiße, aber Anderen geht es auch schlecht“, erklärt Sturm, von dem die Grundidee für Halley stammt.

Ein Teil von einer Gruppe zu sein, sich nicht alleine fühlen, könnten auch gute Gründe sein, um in einer Band zu spielen. Die Gründe in einer Band zu spielen, sind das eine, die Gründe in einer Band zu bleiben, das andere. Also: Warum gibt es Captain Planet auch nach zwanzig Jahren immer noch?  „Schwierig sich das ohne vorzustellen. Wir machen es einfach weiter, weil wir es brauchen. Ich finde, das ist auch identitätsstiftend. Wir machen das ja nur hobbymäßig, ambitioniert hobbymäßig. Wenn man das nicht hätte, wäre einfach ein riesiger Teil weg. Ich könnte den auch nicht an anderer Stelle einholen. Da wo ich wohne, gibt es keinen, der Punkrock macht oder hört“, startet von Twistern einen ersten Antwortversuch, während Sturm die pragmatische Seite hervorhebt: „Solche Sachen werden dann ja auch gefüllt mit Netflix, oder, keine Ahnung…Das wird gefüllt mit…“ Sein Bandkollege unterbricht ihn: „Mit Scheiße, die Wahrscheinlichkeit ist echt groß, dass man das mit Scheiße füllt.“ Schlusswort á la Captain Planet.