Nach einer EP und zwei Konzeptalben krempelt das Quintett Crown the Empire aus Dallas seinen Sound um und landet in einer Ungewissheit zwischen harter Musik und atmosphärischen Popsongs. Wie das Experiment endet, erfahrt in unserem Review zu „Retrograde“.
Apokalypse, anarchistischer Widerstand und schließlich Befreiung: Nach drei Veröffentlichungen hinterließ das Ende von „The Resistance: Rise of the Runaways“ einen geschlossenen Handlungsbogen; der Tod des Protagonisten Johnny Ringo kam gebührend zum Ausdruck und man fragte sich, wohin die Reise denn auf der nächsten LP gehen würde. Eine Fortsetzung einer runden Geschichte? Fehlanzeige. Entsprechend des Albumtitels (übersetzt rückschreitend) drehen Crown the Empire stattdessen die Zeit zurück und begeben sich mithilfe von externen Songwritern auf neue musikalische Abenteuer.
Bereits der erste Song mischt altbekannte Elemente mit neuer Ungewissheit: ähnlich einer Musicalouvertüre evoziert „SK-68“ den Eindruck, dass bald etwas ganz Großes beginnen wird, während verlegene Klavierharmonien den Zuhörer neugierig auf mehr machen. „Walk with me tonight to find what’s afterlife“. Interessanterweise könnte man im Hinblick auf die geradezu überwältigende Epik nun erneut denken, dass es sich hierbei um ein Konzeptalbum handelt. Doch spätestens wenn der zweite Song, „Are You Coming With Me“ einsetzt, muss einem bewusst werden, dass man es hier einfach mit einer Band zu tun hat, die zunehmend ihren eigenen Sound gefunden hat. Bereits der erste Refrain des Albums birgt so einen derartigen Ohrwurmcharakter, dass man sich sofort die Seele aus dem Leib schreien möchte. Diese dominierende Stärke der Band durchzieht auch im Songwriting die elf Titel der CD: „Zero“, welches vorab veröffentlicht worden ist, stellt zwar einen der konventionellsten Songs dar, da er auf Schemata älterer Werke wie „The Fallout“ zurückgreift, besitzt aber eine derartig starke Hook, dass diese Repitition schnell verziehen ist.
Angelangt beim vierten Song wird das Ganze nun noch ein wenig interessanter: „Aftermath“ benutzt gekonnt Samplingeffekte und poppige Strophen im Wechsel mit Metalcore Passagen, die defacto nicht kopierbar klingen dank eines weitläufigen Klangspektrums, welches hier mehr zum Ausdruck kommt denn je zuvor. Die Mischung der Stimmen der Sänger Andrews und Davids finden trotz einer geringeren Zahl an Scream Passagen dauerhaft ihren Platz, was letztendlich auch durch gut arrangierte synthetischen Flächen bedingt ist. Ein weiterer Pluspunkt ist auch die Idee, eben nicht den Konventionen eines Genres zu gehorchen. Was bei anderen Künstlern womöglich höchst deplaziert wirkt, funktioniert in diesem Fall selbst dann, wenn die Band beschließt, einen instrumentalen Industrialtrack zu schreiben, den Trent Reznor von Nine Inch Nails wohl auch auf Ghosts I-IV hätte packen können.
Die zweite Hälfte des Albums wird demzufolge fortschreitend experimenteller und Durchbricht die Grenzen jeglicher Komfortzonen. Mit Liedern wie „Kaleidoscope“ oder auch „Signs of Life“ finden sich zwei Stücke, die man strikt dem Mainstream zuweisen könnte, während „Lucky Us“ künftig noch zu vermehrten Prügeleien führen wird. Auf einen zweiten Blick muss man jedoch sagen, dass gerade diese Wechsel zwischen Anstrengung und Entspannung für das Ohr gelungen im Tracklisting ihren Platz finden. Auch „Weight of The World“ walzt mithilfe moderner Popmelodien und einer Prise Riffs wie ein Radiohit hinfort, ohne dass man es den Jungs verübeln könnte.
Crown the Empire haben bereits jetzt einen vollkommen eigenen Sound, der womöglich schon bald von weniger einfallsreichen Gruppen imitiert werden könnte. „Retrograde“ ist ein Album voller Hits, Herzschmerz aber auch wohl ausgeführter Theatralik. Auf gewisse Art und Weise stehen die Texaner mit ihrem Image nun schon auf eigenen Beinen und es bleibt nur noch zu hoffen, dass Konzertreihen wie die Vans Warped Tour nicht der einzige Erfolg bleiben werden, den die Band für sich zu verbuchen hat. Freunde der Weiterentwicklung und des nach vorne Schauens werden mit dieser CD großen Spaß haben, Dogmatiker werden leer ausgehen. Getreu des Songs „Zero“ stehen wir nun am Rand der Klippe und warten gebannt, wohin der Schicksalssprung beim nächsten Mal hinführen wird!