Review: Nothing – The Great Dismal

In der Vergangenheit war es so, dass jedes neue Album von Nothing Flucht und Aufarbeitung von persönlichen Tragödien zugleich war. The Great Dismal aber beschäftigt sich mit etwas kaum Fassbarem: Die Faszinationen unseres Lebens und des Weltraums.

Im April 2019 veröffentlichten Forschende das erste Foto des Schwarzen Lochs. Ein Phänomen, hinter welchem sich bis heute viele Mythen und wildeste Spekulationen ranken. Was man aber weiß, ist, dass es womöglich eine so große Gravitation erzeugt, durch die noch nicht mal Licht dringen kann. Inspiriert von diesem ersten Foto und den Erkenntnissen zum Schwarzen Loch, schrieb Nothing-Frontmann Domenic Palermo den Grundsatz für das neue Album auf: „Existence hurts existence“. So startet A Fabricated Life mit schweren Gitarren und leicht bedrückendem Säuseln von Palermo. Die ersten Minuten des Albums klingen wie ein Outro und Abgesang auf die menschliche Existenz, die sich selbst zerstört, bis sich die Gitarren zum Positiven auflösen. Plötzlich schwingt Palermos Schwermütigkeit in Erleichterung um, die in die treibenden Drums von Say Less übergehen. Dazu gesellen sich heulende Gitarren und ein pulsierender Bass. Ein Bild, wie man es von Nothings vorherigen Werken kennt.

Innerhalb der Band, die sich immer in einem steten Wandel befunden hat, hat sich jedoch wieder einiges verändert. Während den letzten Touren ersetzte Cloakroom-Gitarrist Doyle Martin Brandon Setta an der Gitarre. Ein Zustand, der geblieben ist. Die Band selbst äußerte sich nicht zu seinem Verbleib, Setta meldete sich nach einer längeren Pause in diesem Jahr zurück. Warum es aber schlussendlich zur Trennung gekommen ist, ließen beide Seiten offen. Für The Great Dismal setzte die Band auf Altbewährtes und arbeitete wieder mit Will Yip zusammen, der schon an der Produktion von Tired Of Tomorrow beteiligt war. Zusammen mit dem Produzenten begaben sich Palermo, Martin, Schlagzeuger Kyle Kimball und Bassist Aaron Heard nach zweiwöchiger Quarantäne im Frühjahr ins Studio und isolierten sich von der Außenwelt, um an dem Album zu arbeiten. Bei der Produktion wurde vermehrt Fokus auf die Gitarrenarbeit und -sounds gelegt. Während das Schlagzeug wie in Say Less oder Bernie Sanders meist als durchgehende Maschinerie funktioniert, bauen sich um Kimball herum immer wieder Gitarrenwände auf, die sich entweder sanft in Ohren spülen oder wie in Famine Asylum in ein wildes Gewitter ausarten und Platz für solierende Gitarren bieten.

Die Songs klingen mal kraftvoll griffig (Say Less), verträumt schwelgend (Blue Mocca) oder lassen stark an die Shoegaze-Pioniere My Bloody Valentine erinnern (April Ha Ha). Da passt es auch, dass Indie-Folk-Künstler (Sandy) Alex G zu letzterem Song Gesang beisteuerte. In all der Genre-Vielfalt zwischen Shoegaze, Grunge und Alternative behalten Nothing ihren Sound aber größtenteils bei, ohne wie eine Kopie der vorherigen Alben zu klingen. Nicht nur bleiben Nothing ihrem Songwriting und Sound größtenteils treu, sie stellen mit dem Leitsatz „Existence hurts existence“ eine These auf, die viel diskutiert werden kann und darf. Palermo äußert seine Sorgen mehrmals, die ihn zum Schreiben des Albums angetrieben haben: „Wired/ I was wired /A world that’s turning, makes me worry“ (Catch A Fade); „Long before the fall or did we have it all along?/ Sing the same old songs, beat the same old tired drum“ (A Fabricated Life).

Und genau deshalb passt das Album perfekt in die heutige Zeit: The Great Dismal wirkt wie ein Spiegelbild der gegenwärtigen Zeit und reflektiert auf eine kritische Sichtweise die ökologischen und sozialen Probleme der momentanen Gesellschaft, ohne besserwisserisch mit dem erhobenem Zeigefinger dazustehen.

nothing-the-great-dismal.album-cover

Label: Relapse
VÖ: 30.10.2020

Genre: Shoegaze, Alternative, Grunge

Vergleichbar:
DIIV – Deceiver
Greet Death – New Hell

Wertung:
12/15